Erste Hilfe in Schulen: Was in einer Schule alles passieren kann, da stockt einem durchaus der Atem. Lehrer:innen sollten sich deshalb vorbereiten, um im Notfall bestmöglich Erste Hilfe leisten zu können – nicht nur, weil die Eltern das erwarten, sondern weil es viel Leid verhindern kann.
Meine blauen Flecken gingen ja noch. Meine Mutter wunderte sich zwar immer, dass ich nicht wusste, woher die kamen. Vielleicht war es ein Stock beim Unihockey im Turnen, ein Foul beim Fussballspielen in der Pause oder doch ein Tritt bei einer Prügelei auf dem Schulweg? Mir waren die Flecken jedenfalls egal.
Manche Mitschüler traf es übler: ausgeschlagene Schneidezähne nach einem Sturz auf der Treppe, eine Platzwunde am Kopf nach einem Fehltritt beim Klettern auf dem Baum, tiefe Schürfwunden am Gesicht nach einem Velounfall, mir würde bestimmt noch mehr einfallen, wenn das nicht schon so lange her wäre.
Notfälle bei Kindern
Laut BFU (Beratungsstelle für Unfallverhütung) sterben in der Schweiz jedes Jahr durchschnittlich 24 Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren wegen Unfällen – meist durch Stürze, durch Ersticken oder Ertrinken oder im Strassenverkehr. Hinzu kommen mehr als 200’000 Kinderunfälle, die mindestens einen Arztbesuch zur Folge haben.
Franziska Rüegg von notfallTraining Schweiz machte eine Umfrage unter Lehrpersonen, um ein Bildungskonzept rund um die Erste Hilfe in Schulen zu entwickeln. Dabei fragte sie auch danach, welche Erlebnisse die Lehrer:innen schon sammelten. «Ich erschrak schon ein bisschen, was in den Schulen alles passieren kann», sagt sie. «Von Fensterstürzen über diverse Brüche und Löcher im Kopf bis zu allergischen Reaktionen und epileptischen Anfällen, es kam wahnsinnig viel zusammen. Ich war mir zwar bewusst, dass Kindern viel passieren kann, aber das war dann schon eine geballte Ladung an tatsächlich erlebten Szenarien.»
Die Erwartungshaltung an Lehrpersonen
Was Franziska Rüegg auch feststellte: «Eltern habe eine gewisse Erwartungshaltung, dass Lehrer:innen mit solchen Situationen umgehen können. Aber Kindernotfälle sind per se besonders, selbst für Rettungskräfte sind sie immer eine Herausforderung. Ein Kind alleine kann schon herausfordernd sein – wenn es dann aber viele Kinder zusammen sind, wird es noch spezieller: wie reagiert die ganze Gruppe, wie organisiert man die Betreuung der anderen Kinder?»
Hinzu kommt: Für Kinder gelten nicht zwingend die gleichen Erste-Hilfe-Regeln wie für Erwachsene. Zum Beispiel kompensieren Kinder einen Blutverlust relativ lange. Das bedeutet, dass das Auftreten der klassischen Schocksymptome bereits auf ein fortgeschrittenes Stadium hinweist und die Situation sich plötzlich schnell verändert.
Erste-Hilfe-Kurs in Gunzgen
Die Lehrpersonen aus den Primarschulen Gunzgen, Rickenbach und Kappel wünschten sich deshalb einen Erste-Hilfe-Kurs, als sie in einer Umfrage nach möglichen Weiterbildungen gefragt wurden. «Sie wollten gerüstet sein und wissen, was zu tun ist oder nicht getan werden sollte», sagt Patricia Jäggi-Meier, Schulleiterin der Schule Gunzgen. «Auch unsere Kinder sind aktiv unterwegs, also passiert auch gelegentlich etwas, von Schnittverletzungen bis Verstauchungen.»
Im August 2023 kamen rund 55 Lehrpersonen aus den drei Schulen zu einem Kurs zusammen und trainierten unter Anleitung der Fachreferentinnen von notfallTraining Schweiz einen Tag lang diverse Szenarien: Stürze, Atemnot, Knochenbrüche, Wunden, Verbrennungen und Kreislaufstillstand. «Das war ein spannender Tag, sehr praxisnah, nicht zu viel und nicht zu wenig», sagt Patricia Jäggi-Meier. «Ich kann das sehr weiterempfehlen.»
Von den Lehrpersonen zu den Kindern
Die Primarschule Gunzgen organisiert übrigens auch regelmässig Erste-Hilfe-Kurse für Kinder. «Erstens ist das wichtig für das Leben, auch neben der Schule», sagt Patricia Jäggi-Meier. «Andererseits haben wir nicht immer ein Lehrerteam zur Stelle und sind in Notfällen auf die anderen Kinder angewiesen. Es macht Sinn, wenn sie dann wissen, was zu tun ist.»
Auch Franziska Rüegg findet solche Erste-Hilfe-Kurse für Kinder sehr sinnvoll. «Das ist jedoch oft schwierig zu finanzieren, deshalb haben wir mehr Angebote für Lehrer:innen geschaffen, das ‘Train-the-trainer-Prinzip’. Wir hoffen, dass manche Lehrpersonen das Thema einfach einmal in ein Jahresprogramm einbauen und die Kinder sensibilisieren. Das beginnt schon beim Erkennen von Emotionen wie Schmerzen und der Wahrnehmung, dass es jemandem nicht gut geht.»
Erste Hilfe in Schulen: Von Empfehlungen zu Verpflichtungen?
Die einzelnen Schulen seien sehr unterschiedlich auf Notfallszenarien vorbereitet, sagt Franziska Rüegg. «Manche Lehrer:innen sind ziemlich sattelfest, interessieren sich vielleicht auch privat für das Thema. Andere sind sehr unsicher. Auf jeden Fall gibt es noch viel Potenzial. Das kommt natürlich auch daher, dass es zwar Empfehlungen, aber keine Verpflichtungen gibt, sich als Schule oder Lehrpersonen in Erster Hilfe weiterzubilden.»
Wie so oft in der Schweiz, gibt es auch in dieser Frage starke kantonale Unterschiede. «Manche Kantone haben sich intensiver damit befasst und legen Lehrpersonen solche Kurse nahe, in anderen Kantonen ist nichts vorhanden. Das gilt auch für Notfallkonzepte in Schulen – in manchen Kantonen sind sie Pflicht, in anderen nicht», sagt Franziska Rüegg.
Sie sprach rund um ihr Bildungskonzept mit sehr vielen Lehrer:innen und Schulleiter:innen und ist sich bewusst, dass an die Schulen eine ganze Menge an Erwartungen zugetragen werden und sie viel abdecken müssen. Deshalb sei es verständlich, dass manche Schulen andere Prioritäten setzen würden.
Unter diesen Umständen sieht Franziska Rüegg auch die Politik in der Pflicht. Es ist ein Herzensprojekt von ihr und war der Auslöser für ihr Bildungskonzept, Kinder direkt zu schulen. «Und zwar nicht erst in den oberen Stufen, sondern von ganz klein an», sagt sie. «Ich führte ein Projekt in einem Kindergarten durch, das kam super an. Unsere nordischen Länder sind uns hier voraus, dort wird das schon gemacht. In der Schweiz müsste die Politik aktiver werden und das Thema in die Lehrpläne bringen.»
In Zusammenarbeit mit notfallTraining Schweiz