HSE steht für Health, Safety, Environment – also für alle Themen rund um Gesundheit, Sicherheit und Umwelt. Martin Anderegg von der Lifetec AG wird als HSE-Consultant meist dann beigezogen, wenn eines dieser Teilthemen den Rat eines externen Experten verlangt. Dafür muss er die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Teilthemen erkennen und die HSE-Aspekte mit einem unternehmerischen Gesamtblick betrachten.
Patentrezepte gibt es keine. In HSE-Themen spielen Regeln und Menschen zusammen und dieses Zusammenspiel ist stets individuell ausgeprägt. «Die Aufgabenstellungen sind in jedem Betrieb sehr unterschiedlich», sagt Martin Anderegg, HSE-Consultant bei der Lifetec AG. «Ich muss diese Ausgangslage schnell erfassen und erkennen, wo die Risiken und Schwachpunkte liegen – aber auch wo das Unternehmen gut aufgestellt ist und worauf man aufbauen kann, um ans Ziel zu kommen.»
Die typischen Auslöser
Dass Martin Anderegg als HSE-Consultant beigezogen wird, kann verschiedene Auslöser haben. Vielleicht gibt es einen umtriebigen Sicherheitsbeauftragten, der vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht und den neutralen Blick eines externen Experten wünscht. Allenfalls fand ein Audit statt, das einen Bedarf aufzeigte – sprich, die Suva war da und klopfte dem Betrieb auf die Finger. In der Baubranche ist dieses Szenario beispielsweise rund um die neue BauAV vermehrt zu erwarten.
Unschön ist es, wenn ein Ereignis zum Auslöser wird – also, wenn etwas vorgefallen ist und man darauf reagieren muss. «Oft werden sich Geschäftsführer oder Verwaltungsräte erst dann ihrer direkten Verantwortung für die Sicherheit der Mitarbeitenden bewusst», sagt Anderegg. «Deshalb bin ich lieber vorher schon vor Ort und kann die Geschäftsleitung mit meinen Empfehlungen für Verbesserungen schützen und ihnen helfen, diese Verantwortung zu tragen.»
Der Faktor Mensch
«Es gibt Dinge, die man beim normalen Vorbeilaufen im Betrieb nicht mehr sieht. Und es gibt Zusammenhänge, die man erkennen muss», sagt er. «Wenn ich mich mit Unfällen beschäftige, will ich herausfinden, weshalb es zu diesen kam – meistens passieren sie nämlich nach einer langen Periode, in der nichts geschah. Dabei muss man auch das Unmögliche und Unerwartete kalkulieren. Das kann sehr komplex sein. Tatsache ist: die Zahl der Unfälle sinkt weltweit, die der tödlichen Unfälle steigt allerdings. In der Schweiz ist sie auf einer konstanten Höhe, die nicht sein dürfte. Ich habe selbst in der Aufarbeitung von tödlichen Unfällen mitgearbeitet. Dieses Leid muss man einfach verhindern.»
Das schwierige daran: ein Unfall ist meistens eine Verkettung von Ereignissen. «Der Faktor Mensch ist in dieser Kette elementar», sagt Anderegg. «Diesen Faktor können wir technisch nicht beeinflussen oder schützen. Mit rein technischen Massnahmen sind wir zwar auf einem guten Weg, aber noch nicht auf dem richtigen.»
Schritt für Schritt
Wenn Martin Anderegg als Berater beigezogen wird, versucht er als erstes zu spüren, was das Unternehmen braucht. Konkret heisst das: viel Arbeit vor Ort. «Das ist der Schlüssel. Ich muss die Unternehmen und Umgebungen sehen, sonst weiss ich nicht, wo ich ansetzen kann», sagt er. «Ich muss eine Erstbegehung machen und in Erstgesprächen mit der Geschäftsleitung und Mitarbeitenden sprechen. So erkenne ich, wo die Probleme liegen. Es gib immer Punkte, die man verbessern kann.»
Das Zusammenspiel zwischen Menschen und Situationen verliert er dabei nie aus den Augen. «Das kann man nicht trennen», sagt er. «Es nützt nichts, wenn ich eine unsichere Lagersituation einschätze. Wahrscheinlich weiss die Unternehmensleitung selbst, dass sie dort etwas ändern sollte. Ich muss die Frage klären, weshalb es noch nicht getan wurde. Vielleicht nimmt man es nicht ernst oder man weiss schlicht nicht, wie man es ändern kann. Gespräche mit Menschen gehören deshalb zwingend dazu.»
«Der Faktor Mensch ist elementar. Mit rein technischen Massnahmen sind wir zwar auf einem guten Weg, aber noch nicht auf dem richtigen.»
Geld verdienen oder in Sicherheit investieren?
Der Druck in den Unternehmen ist gross. Sie müssen Geld verdienen und den Umsatz erhöhen. Die Mitarbeitenden wiederum müssen produktiv sein und den Zeitdruck bewältigen. Da sind Sicherheitsmassnahmen auf den ersten Blick meistens hinderlich. In finanziell schwierigen Situationen wird es noch herausfordernder, Sicherheit zu leben und umzusetzen.
Martin Anderegg spricht aus eigenen Erfahrungen in verschiedenen Branchen, schliesslich war er lange im Management tätig und führte Firmen in schwierigen Situationen, teilweise in finanziell klammen Zeiten oder nach einem Management-Buy-out. Das hilft ihm heute. «Die Unternehmen haben mein volles Verständnis, dass sie Geld verdienen müssen», sagt er. «Aber das darf nicht auf Kosten der Mitarbeitenden und ihrer Sicherheit und Gesundheit geschehen. Man muss die unternehmerischen Aspekte mit den Sicherheitsaspekten zusammenbringen und dadurch eine Win-win-Situation schaffen.»
Mit solchen Ansätzen machte er sich nicht immer Freunde. «In einem Unternehmen hatten wir eine Stapler-Flotte mit rund 400 Staplern. Ein Stapler ist ein gefährliches Fahrzeug. Wir reduzierten deshalb deren Maximalgeschwindigkeit: Acht Stundenkilometer vorwärts, fünf Stundenkilometer rückwärts. Die Fahrzeuge könnten mehr als 20 Stundenkilometer fahren. Es war schwierig für die Mitarbeitenden, diese Massnahme zu verstehen. Sie mussten ihre Arbeit machen und kamen langsamer voran. Es musste uns gelingen, die Mitarbeitenden in diesem Prozess mitzunehmen, Verständnis zu zeigen und zu schaffen. Sie mussten erkennen, dass es am Ende des Tages um ihre persönliche Sicherheit geht. Wenn das gelingt, dann gewinnt man.»
«Man muss die unternehmerischen Aspekte mit den Sicherheitsaspekten zusammenbringen und dadurch eine Win-win-Situation schaffen.»
Sicherheitskultur wächst langsam
Die Geschwindigkeit eines Staplers ist schnell einmal reduziert. Das Verständnis dafür kann man aber nicht von heute auf morgen gewinnen. Das ist eine kulturelle Frage, und die braucht Zeit. Viel Zeit. «Ich erlebte das häufig», sagt Anderegg. «Die Leute mit dem Begriff ‘Safety’ auf den gelben Jacken sah man am liebsten, wenn sie wieder gingen. Doch ich konnte das auch oft ändern. Mit der Zeit wurden diese Leute zu Problemlösern und waren plötzlich willkommen an den Standorten.»
Mit der Zeit heisst: Drei bis vier Jahre. Auf diesem Weg muss man sowohl die Geschäftsleitung als auch die Mitarbeitenden überzeugen. Nur der Druck der Geschäftsleitung bringt nichts, wenn die Mitarbeitenden die Massnahmen nicht umsetzen. Und überzeugte Mitarbeitende bringen nichts, wenn sie die Rückendeckung der Geschäftsleitung nicht spüren. «Als externer Berater habe ich es leichter als früher im Bereich der operativen Sicherheit», sagt Martin Anderegg. «Heute muss ich vor allem die Geschäftsleitung beraten, und sie muss es dann umsetzen.»
«Die Mitarbeitenden müssen erkennen, dass es um ihre persönliche Sicherheit geht. Wenn das gelingt, dann gewinnt man.»
Nicht weil man muss, sondern weil man will
Vor gut einem Jahr machte Martin Anderegg den Schritt zur Lifetec AG, einem Unternehmen, das vor allem für seine Erste-Hilfe-Systeme und -Schulungen bekannt ist. Hier bringt er als HSE-Consultant nun auch sämtliche weiteren Themen aus dem breiten Bereich der Sicherheit ein und deckt die HSE-Themen komplett und kompetent ab. «Es geht bei allen HSE-Massnahmen um Menschen. Sie stehen im Zentrum und sollen sicher arbeiten und gesund bleiben. Erste Hilfe und HSE ergänzen sich deshalb extrem gut», sagt Anderegg.
Während viele Teilthemen des Bereichs HSE sehr detaillierte Vorschriften und Richtlinien kennen, bieten Richtlinien in der Ersten Hilfe weniger Orientierung. «Doch mehr Vorschriften müssen im Prinzip gar nicht sein», sagt Anderegg. «Die Unternehmen sollten das nicht tun, weil es von Gesetzes wegen vorgeschrieben ist. Sie sollten es tun, weil sie gesunde und sichere Mitarbeitende wollen. Wenn die Geschäftsleitungen dies begreifen, haben sie auch motivierte Mitarbeitende. Gerade das Beispiel Erste Hilfe zeigt, dass Erlerntes nicht nur im Betrieb nützt. Es hilft auch im Privatleben und in der Familie. Wenn das rüberkommt, ist es keine Frage mehr, ob irgendwo steht, dass man das tun muss.»
«Es geht bei allen HSE-Massnahmen um Menschen. Sie stehen im Zentrum und sollen sicher arbeiten und gesund bleiben.»
Grenzen der Beratungstätigkeit
Während seinen Begehungen kann Martin Anderegg eine Menge Themen abgreifen und aufzeigen, was noch gelöst werden muss. Manchmal ist er nur für einen halben Tag vor Ort, um in einem Kleinunternehmen einen Check zu machen. Manchmal berät er ein Unternehmen über mehrere Wochen hinweg, wenn es viel zu tun gibt oder viele Standorte besichtigt werden müssen. Doch ob früher oder später – als Berater geht Martin Anderegg irgendwann wieder. «Das Thema an sich ist allerdings nie abgeschlossen», sagt er. «Situationen verändern sich, Menschen auch, das ist sehr dynamisch. Das Ziel einer Zusammenarbeit ist deshalb, dass ich wieder gerufen werde, wenn Fragen auftauchen.»
Wenn er wieder gerufen wird, dann geht es meistens um Fragen, die über das Alltägliche hinausgehen und die das Unternehmen selbst nicht lösen kann. So erhielt Martin Anderegg schon viele Einblicke, die er zusammen mit seiner Lebenserfahrung wieder in neue Betriebe einbringen kann. «Rund um Sicherheitsthemen zu beraten ist das Interessanteste, das ich je gemacht habe», sagt er. «Ich kann auf Menschen achten und das einsetzen, was ich im Leben gelernt habe.»
Allerdings gibt es auch Grenzen und es stellt sich die Frage, wie weit Martin Anderegg in eine Firma überhaupt hineinschauen darf. «Beispielweise geht es in HR-relevanten Themen um identifizierbare Menschen. Und auch im Bereich Business Continuity Management sagt ein Unternehmen nicht gerne, dass es ein Problem hat», sagt Anderegg. «Wenn man im Laufe eines Auftrages in diesen Bereichen Probleme erkennt, braucht es viel Vertrauen der Geschäftsleitung, um auch hier aktiv werden zu können.»
Webinar zum Thema HSE: https://www.safety-security.ch/hse-webinar-lifetec/