Die Migros Fitnessparks setzen auf einen massgeschneiderten Erste Hilfe Kurs, um die Betreuerinnen und Betreuer in den Kinderparadiesen auf mögliche Kindernotfälle vorzubereiten.
Fünf der acht Migros Fitnessparks in der Genossenschaft Migros Zürich haben ein Kinderparadies im Angebot. Trainierende Eltern wissen ihre Schützlinge während der Trainings dort gut betreut – es wird gespielt, gebastelt, oder einfach Znüni gegessen.
Natürlich kann in dieser Zeit auch ein Ungeschick passieren, eine Verletzung oder ein medizinischer Notfall. Darauf wollen sich die Migros Fitnessparks vorbereiten und buchen regelmässig einen auf die Betreuerinnen und Betreuer zugeschnittenen Kurs zum Thema Kindernotfälle. Alle Betreuenden müssen diesen Kurs regelmässig besuchen – doch für alle ist es eher ein Dürfen als ein Müssen.
Die Betreuerinnen und Betreuer haben vielfach eine entsprechende Ausbildung, es gibt aber auch beispielsweise Mütter ohne solche Ausbildung, die sich etwas dazuverdienen möchten und denen diese Aufgabe Freude bereitet. «Zwar passieren meistens nur Kleinigkeiten, aber wir möchten die Betreuenden gut auf verschiedene Szenarien vorbereiten», sagt Hanspeter Baumberger, Bereichsleiter Fitnessparks & Milandia der Genossenschaft Migros Zürich. Bei unserem Besuch an einem solchen Kurs sprechen die Teilnehmenden von Szenarien wie Bissen, Beulen, Schrammen, Wespenstichen oder von dem einen Kind, dem etwas im Hals stecken blieb.
Massgeschneidert statt ab der Stange
Baumberger ist selber Vater von sechs Kindern und beschäftigte sich immer wieder mit dem Thema Kindernotfälle. «Das war wohl der Auslöser, weshalb ich das auch unseren Mitarbeitenden ermöglichen wollte», sagt er. «Es ist ganz wichtig, das richtige Mass zu kennen. In unseren Kinderparadiesen werden von Säuglingen ab null Jahren bis zu Schulkindern mit neun Jahren verschiedene Altersgruppen betreut, die in einem Notfall alle anders behandelt werden müssen als Erwachsene. Es ist mir wichtig, dass unsere Betreuenden einen Kurs erhalten, der genau auf uns zugeschnitten ist. Ausserdem wollten wir niemanden weit weg in einen Kurs schicken. Die Referentin der notfallTraining schweiz gmbh kommt hierher und führt den massgeschneiderten Kurs hier durch.»
«Ich finde es wichtig, solche Kurse auf die Teilnehmenden masszuschneidern», sagt Regina Saner, die im Notfall eines Spitals arbeitet und als Kursleiterin bei der notfallTraining schweiz gmbh tätig ist. «Sie müssen in ihrem Umfeld, wo sie arbeiten, richtig auf Notfälle reagieren können. Es ist beispielsweise etwas ganz anderes, ob sich ein Koch oder ob sich ein Kind verbrennt. Da muss man unterschiedlich vorgehen und ich helfe gerne mit, dass sich die Teilnehmenden in solchen Themen sicherer fühlen und im Notfall wissen, was zu tun ist.»
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
Einen Kurs auf Kindernotfälle masszuschneidern, macht aber nicht nur wegen den Teilnehmenden Sinn, sondern auch weil Kinder je nach Alter ganz andere Erste Hilfe brauchen. «Kinder sind keine kleinen Erwachsenen», sagt Regina Saner. «Je jünger ein Kind ist, desto grösser sind die Unterschiede zu Erwachsenen. Ihr Körperbau ist anders, ihr Kopf ist grösser, sie haben dünnere Haut, man muss anders mit ihnen umgehen, es gibt sehr viele Unterschiede. Deshalb kann man die Erste Hilfe für Erwachsene nicht einfach auf ein Kind übertragen.»
Zum Beispiel: Kinder kompensieren einen Blutverlust relativ lange, das heisst, dass das Auftreten der klassischen Schocksymptome bereits auf ein fortgeschrittenes Stadium hinweist und die Situation sich plötzlich schnell verändert. Regina Saner ist es wichtig, dass die Teilnehmenden wissen, welche Massnahmen bei Kindernotfällen wichtig sind und dass sie die nötigen Schritte einleiten können, bis allenfalls der Rettungsdienst eintrifft.
Dabei kann sie aus ihrem Alltag auf der Notfallstation erzählen. Sie führt durch verschiedene Notfallszenarien wie Atemnot oder Fieberkrämpfe, übt mit den Teilnehmenden die besondere Reanimation und Beatmung von Kindern und erzählt, welche Symptome frühe Alarmzeichen sein können: Beispielsweise wenn Kinder auffällig ruhig und teilnahmslos sind. Das ‘Nasenflügeln’ beim Säugling kann auf eine Atemnot hindeuten. Trockene Lippen oder ein trockener Mund, stehende Hautfalten oder Windeln, welche länger als sechs Stunden trocken sind, zeigen eine ungenügende Flüssigkeitszufuhr oder einen erhöhten Flüssigkeitsverlust. Die Tipps und Tricks zu einer Notfallsituation mit Kindern gibt Regina Saner den Teilnehmenden bei jedem Fallbeispiel als Supplement aus ihrem Erfahrungsschatz mit – denn den Umgang mit Kindernotfällen lernt man am einfachsten, indem man sie übt.
Wichtige Unterschiede zwischen Kindernotfällen und Erwachsenennotfällen
Rund um die Atmung:
- Säuglinge sind Nasenatmer. Auf Mundatmung umzustellen, fällt ihnen schwer. Deshalb kann ein Schnupfen schnell zu einem akuten Atemproblem führen.
- Die Schleimhäute reagieren empfindlich und die sonst schon engen Atemwege schwellen rasch an. Deshalb können Manipulationen im Mund- und Rachenbereich rasch zu einem Verschluss der Atemwege führen.
- Der Sauerstoffbedarf ist doppelt so hoch wie bei Erwachsenen. Deshalb atmen Kinder schneller und deshalb ist die Beatmung bei der Reanimation besonders wichtig.
- Der Kehlkopf bei Säuglingen liegt höher. Im Verlauf des Wachstums senkt er sich und das Kind muss sich an das neue Schluckverhalten gewöhnen. Deshalb verschlucken sich Kinder bis zum dritten Lebensjahr häufiger.
- Ausserdem haben Säuglinge einen grossen Hinterkopf und eine grosse Zunge. Deshalb muss der Kopf für die Beatmung in die richtige Position («Schnüffelposition») gebracht werden, damit die Atemwege offen sind.
- Die Lunge eines Säuglings ist weniger dehnbar und hat eine geringere Kapazität für die Sauerstoffaufnahme. Deshalb gilt es, sanft und langsam zu beatmen – etwa eine Sekunde pro Beatmung – und nur so viel, bis der Brustkorb sich hebt.
Rund um die Haut und Temperatur:
- Kinder haben ein tiefes Hämoglobin, das ist der rote Farbstoff im Blut, der den Sauerstoff transportiert. Deshalb färben sich ihre Lippen und die Haut viel seltener blau, wenn sie Atemnot haben.
- Kinder haben dünnere Haut. Deshalb sind tiefe Verbrennungen häufiger.
- Kinder haben eine grössere Körperoberfläche verglichen mit dem Körpergewicht. Deshalb kühlen sie schneller aus – wenn Säuglinge bei Zimmertemperatur nackt daliegen, kühlen sie so stark aus wie wenn ein Erwachsener bei null Grad Celsius nackt draussen wäre. Bei Verbrennungen beispielsweise soll man deshalb nur die betroffene Stelle kühlen, wenn überhaupt, und den Rest des Körpers warm halten.
Rund um den Kopf:
- Kinder bis zwei Jahre haben eine geöffnete Fontanelle. Eine eingefallene Fontanelle ist ein Hinweis auf einen massiven Flüssigkeitsmangel. Eine nach aussen gewölbte Fontanelle kann ein Zeichen für eine Entzündung oder eine Schwellung im Gehirn sein. In beiden Situationen muss das Kind sofort zum Arzt.
Rund um den Kreislauf und Flüssigkeit:
- Kinder haben ein kleines Herz, das nur eine kleine Menge Blut auswirft. Deshalb schlagen Kinderherzen schneller als die von Erwachsenen. Bei einem Säugling sind es zwischen 100 und 180 Schlägen pro Minute, bei Kleinkindern zwischen 80 und 160, bei Schulkindern zwischen 70 und 140 und bei Erwachsenen zwischen 60 und 80.
- Kinder brauchen im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht mehr Flüssigkeit als Erwachsene. Deshalb kann wiederholtes Erbrechen und Durchfall schneller zu einer Austrocknung und damit zu einer lebensbedrohlichen Situation führen.
- Ein geringer Blutverlust bei einem Säugling kann bereits zu einem Schock führen.
Rund um die Motorik:
- Der Kopf eines Kindes ist im Verhältnis zum Körper sehr gross. Der Mittelpunkt liegt daher auf der Brusthöhe und nicht wie bei Erwachsenen auf der Bauchnabelhöhe. Deshalb stürzen Kinder häufiger.
Rund um das Skelett:
- Die Knochen von Kindern sind elastischer. Deshalb brechen sie weniger schnell oder ist der Knochenbruch oft unvollständig. Weichteilverletzungen können gross sein, während der Knochen dennoch nicht gebrochen ist.
Rund um das Verhalten:
- Kinder sind von Natur aus aktiv und interessiert. Deshalb kann eine plötzliche Verhaltensänderung im Zusammenhang mit einer Krankheit oder einem Unfall ein Warnsignal sein.
Rund um Medikamente:
- Die Entgiftungsorgane Leber und Nieren sind noch nicht fertig entwickelt und können Medikamente noch nicht vollständig aufnehmen, abbauen und ausscheiden. Deshalb gibt es Medikamente, die Kindern nicht verabreicht werden dürfen, zum Beispiel Alca-C®, Alcacyl® oder Aspirin ®. Medikamente müssen zudem unbedingt altersentsprechend dosiert werden.
In Zusammenarbeit mit notfallTraining schweiz gmbh.
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