Plötzlich ist sie da, die Krise. Dann helfen vor allem zwei Dinge: eine gute Methode und passende, digitale Hilfsmittel. Beides muss man vor einer Krise vorbereiten.
Hochwasser, Brand, Pandemie, Amokdrohung, Stromausfall, Unfall mit Todesfolge – Krisenszenarien gibt es viele und meistens treten sie schnell und nicht ganz so ein, wie man es sich vorgestellt hätte. Eine Krise ist aber nicht einfach nur das, was überraschend und intensiv ist.
«Es geht darum, dass man in eine Überforderung gerät», sagt Christian Randegger. «Man hat das Gefühl, dass die Werkzeuge, die man bislang brauchte, nichts nützen. Es besteht eine Bedrohung für das Leben oder für Sachwerte. Und längerfristig gesehen hat eine Krise wahrscheinlich schwere Konsequenzen, die man jetzt minimieren muss – Imageverlust, Todesfall, Verletzungen oder ähnliches.» Christian Randegger ist unter anderem Kriseninterventionstrainer, Careprofi, ehemaliges Mitglied des Kernstabs Winterthur und Projektleiter des Krisenkompass, auf den wir noch zu sprechen kommen.
Was gehört zu einem guten Krisenmanagement?
Andreas Juchli, Geschäftsführer der JDMT Group AG, spricht lieber von Ereignismanagement als von Krisenmanagement. «Das Wort Krise ist negativ konnotiert», sagt er. «Zwar hat eine Krise das Potenzial, einen grossen Schaden zu verursachen. Doch durch geeignete Massnahmen kann man diesen Schaden reduzieren.»
Es gibt zwar Szenarien, an denen ein Unternehmen sein Krisenmanagement orientieren und vorbereiten kann – sprich, Mitarbeitende schulen, Abläufe und Prozesse durchdenken und Hilfsmittel zusammenstellen. «Aber mental muss man offen sein für alles, woran man nicht dachte», sagt Andreas Juchli. «Erst kürzlich waren wir für eine Schule tätig, die nie dachte, dass Tuberkulose ein Thema sein könnte – bis eines Morgens ein Anruf des Kantons kam, dass es einen bestätigten Tuberkulosefall an der Schule gibt.»
Man müsse sich im Rahmen eines Risikomanagements überlegen, was überhaupt passieren kann, sagt Christian Randegger – auch unter weniger alltäglichen Umständen wie auf einem Teamausflug oder beim Weihnachtsessen. Das betreffe viele Bereiche, unter anderem die Infrastruktur oder das Notfallmanagement. «Dann muss man sich mit präventiven Schutzmassnahmen vorbereiten», sagt Randegger, «die Rollen im Krisenteam definieren, verteilen und schulen und letztlich, im Ereignisfall, alle Punkte abarbeiten, Aufträge verteilen, sie kontrollieren, nachjustieren und aufarbeiten.» Das mache man am besten in einem Raum, wo man vor Medien, Bevölkerung oder anderen Mitarbeitenden geschützt ist und ruhig arbeiten kann.
«Die Kommunikation wird unterschätzt», sagt Christian Randegger. «Während der Krise gilt das Credo ‘one voice, one message’. Wer nimmt das gegenüber aussen wahr? Und wer nimmt diese Aufgabe parallel nach innen wahr? Es ist schwierig, wenn das die gleiche Person ist. Auch das muss man organisieren und vor allem üben, zum Beispiel mit Rollenspielen.»
Man müsse wissen, wer welche Rolle hat, was die Prozesse sind, was man kommunizieren kann, wo man sich trifft, welche Unterlagen man hat, wie man sich vorbereitet und wie man einzelne Szenarien übt. «Ist man nicht vorbereitet, weiss man gar nicht, wo man beginnen soll», sagt Andreas Juchli. «Muss ich die Führung übernehmen? Ist es meine Verantwortung? Was mache ich als erstes? Zu welchem Zeitpunkt hat Kommunikation welchen Stellenwert? Aus all diesen Gründen ist es so wichtig, dass man sich mit Krisen und deren Bewältigung im Vorfeld auseinandersetzt.»
Die Problematik sei in aller Regel: «Menschen, die eine Krise managen, machen das oft zum ersten Mal», sagt Andreas Juchli. «Selten hat man jemanden, der etliche Krisen gemeistert hat. Für die erwähnte Schule konnten wir innerhalb einer Stunde eine Hotline aufschalten, über die wir alle Fachfragen und prozeduralen Fragen beantworten konnten. Das bewirkte, dass die Schulleitung nicht mit diesen Fragen konfrontiert wurde.»
Ist Krisenmanagement Chefsache?
Natürlich ist Krisenmanagement Chefsache. «Es braucht immer Entscheidungen», sagt Christian Randegger. «Machen wir etwas oder nicht, bis wann machen wir das, wann wird kontrolliert und korrigiert, wann gibt es nächste Informationen, welcher Zeitplan von aussen gilt, bis wann entscheiden wir was, wann schicken wir Mitarbeitende nach Hause, wann müssen wir einen Rettungshelikopter oder Bestatter organisieren – man muss immer entscheiden.»
Der Chef des Unternehmens muss aber nicht unbedingt der Chef des Krisenstabs sein. «Wer die Verantwortung übernimmt und entscheidet, hat nicht nur mit der Position, sondern auch mit dem Typ Mensch zu tun», ergänzt Andreas Juchli. «Gutes Krisenmanagement hat einen Einfluss auf den Unternehmenserfolg, man braucht dafür aber auch Menschen, die bereit sind, sich unangenehmen Situationen zu stellen und Entscheidungen zu treffen – die man allenfalls im Nachhinein etwas anders bewerten würde.»
«Im Militär oder bei regionalen oder kantonalen Führungsstäben hat es sich bewährt, dass man einen Kommandanten und einen Stabschef hat», sagt Christian Randegger. «Der Stabschef führt – zuoberst gibt es aber den Kommandanten, mit dem er wichtige Entscheidungen bespricht. In einem Unternehmen könnte dieser Entscheidungsträger der CEO sein, der aber einen Mitarbeitenden mit Erfahrung hat, welcher die Krise managt und sich im Zweifelsfall mit dem Chef abspricht. So ist der Chef frei, seine weiteren Aufgaben wahrzunehmen. Und natürlich ist es wichtig, dass man auf jene Fachleute zurückgreift, die sich mit vielem auskennen – zum Beispiel auf den SiBe, aber auch auf Fachleute aus der Kommunikation, der Medizin, der Logistik und ähnlichem.»
Wie gut sind Unternehmen im Krisenmanagement?
«Grosse Unternehmen haben Strukturen und üben diese auch», sagt Andreas Juchli. «Abgesehen von der Armee gibt es aber wenig Standards. Einen Pandemieplan macht jedes Unternehmen wieder für sich selbst, obwohl man Best Practices übernehmen könnte. Und vor allem kleinere und mittlere Organisationen haben häufig Nachholbedarf.»
Standards vermisst auch Christian Randegger. «Im Brandschutz beispielsweise gibt es in der Schweiz viele Vorgaben. Aber für das Bedrohungsmanagement, bei Amokankündigungen, bei tätlichen Angriffen, bei Stalking, bei Cyberangriffen, hier gibt es viel Nachholbedarf. Dabei sollte man solche Szenarien genauso ernstnehmen wie einen Brand.»
Und solche Szenarien sollte sich nicht jedes Unternehmen selber überlegen und vorbereiten müssen, sagt Andreas Juchli. «Kürzlich wurde im Stadion Letzigrund ein weiblicher Steward bedrängt. Wir wussten, wie wir dann vorgehen. Das muss definiert sein, es braucht verhältnismässige und argumentierbare Massnahmen. Und dafür braucht es Standards. Der Krisenkompass hat es geschafft, solche Standards zu entwickeln.»
Was ist der Krisenkompass?
Da ist er wieder, der bereits anfangs erwähnte Krisenkompass. «Das ist ein digitaler Wegweiser», erklärt Christian Randegger. «Ich muss je nach Situation nicht mehr viel überlegen, sondern das Szenario eingeben – zum Beispiel Suizid oder Bombendrohung – und erhalte edukativ aufbereitete Checklisten; mit diesen Handlungsempfehlungen weiss ich, was alles zu tun ist. Es ist also kein PDF hinterlegt, sondern man kann Punkt für Punkt abarbeiten. In einem Todesfall beispielsweise gibt es immer die gleichen Abläufe. Das kann man aufbereiten und verknüpfen, und weil der Krisenkompass digitalisiert ist, ist er auch immer aktualisiert und kann zudem offline genutzt werden.»
Applikation starten, Szenario abarbeiten. Auf diese Weise kann der Krisenkompass Ruhe verschaffen. «Und er zeigt immer, woran man denken muss», ergänzt Andreas Juchli. «Zum Beispiel, dass Kommunikation eine entscheidende Grösse ist. Nochmals zurück zum Beispiel mit der Schule und dem Tuberkulosefall: hier konnte man gar nicht mehr kontrollieren, ob sich die Information verbreitet. Das zeigt, wie wichtig eine aktive Kommunikation zu einem frühen Zeitpunkt ist. Manche Menschen machen das alles aus dem Kopf, aber das ist fehleranfällig. Mit vorbereiteten Textelementen lässt sich diese Kommunikation viel rascher in Gang setzen – natürlich muss man gewisse Elemente ergänzen, zum Beispiel, dass die Schule weitergeht, was für die Eltern eine sehr wichtige Information war.»
«In einem gut vorbereiteten Krisenstab sind häufig Menschen, die davon eine gewisse Ahnung haben», sagt Christian Randegger. «Das gibt aber eine relative Sicherheit. Es kann sein, dass genau diese Leute nicht da oder allenfalls persönlich betroffen sind. Man darf sich also nicht auf die ‘Haudegen’ verlassen, die wissen, wie Krise geht. Den Krisenkompass, als digitalen Wegweiser installiert auf einem Tablet, kann man einfach jemandem weiterreichen, der das Ereignis dann anhand der Checklisten durcharbeitet.» Das sei wie in anderen Notfällen, ergänzt Andreas Juchli: «Es müssen nicht einzelne Mitarbeitende wahnsinnig gut sein, die Organisation muss das beherrschen. Auch das Krisenmanagement ist eine Organisationsfrage.»
«Am Anfang gibt es immer eine Chaosphase», sagt Juchli, «auch weil man nicht organisiert ist. Sobald man eine Struktur hat, ist diese Chaosphase überwunden und die Situation beruhigt sich. Deshalb ist eine Struktur per se wichtig, um ein Krisenempfinden und eine Krise zu überwinden.»
Tatsächlich kann eine Krise aber lange andauern. «48 Stunden ohne Unterbruch durchzuarbeiten, das funktioniert nicht», sagt Andreas Juchli. «Man muss wissen, welche Ressourcen man hat und welche man aktivieren kann. Das können auch Ressourcen von aussen sein. Sogar ein Stabschef kann von aussen kommen. Dann zieht man sich mit diesen Ressourcen zurück und geht Schritt für Schritt vor.»
Beispiele: Von Hochwasser bis Amok
Im Krisenkompass sind unterschiedlichste Szenarien erfasst, und viele davon sind eng miteinander verknüpft. Zum Beispiel: Hochwasser. «Das eine Problem ist, dass wir viel Wasser haben», sagt Christian Randegger. «Also haben wir allenfalls eine Überschwemmung. Gleichzeitig haben wir aber vielleicht einen Stromausfall, Schutt in Bächen, Unterspülung, vermisste Menschen, Wasser verunreinigende Kadaver, Evakuationen, Suchaktionen, Todesopfer, Schwerverletzte, Vandalismus, Plünderungen – es ist ein grosses Thema mit vielen Teil-Themen, die allesamt im Krisenkompass beschrieben sind.»
Auch eine Amokdrohung ist darin enthalten. Das wiederum ist eng verbunden mit Terrorismus, Geiselnahme, Attentate, Bombendrohungen – alles unangenehme Themen, die aber alle im Krisenkompass beschrieben sind. «Wir hatten in der Schweiz glücklicherweise noch keine School-Shootings», sagt Randegger. «Aber Drohungen, die gab es. Wie man damit umgeht, ist heikel. Vor einigen Wochen gab es mehrere Drohungen. In einer Zeitung wurde ein Foto einer gekritzelten Drohnachricht abgedruckt. Das ist ein gefundenes Fressen für Nachahmer. Wer schulfrei möchte, hinterlässt einfach eine solche Nachricht auf dem WC und dann schliesst die Schule.»
Eigene Dokumente von Unternehmen und Organisationen
Falls ein Thema noch nicht im Krisenkompass enthalten ist, schreibt ein Experte dieses und es wird publiziert – und steht allen Anwendern zur Verfügung. «Was viele Unternehmen unterschätzen: sie brauchen viel Zeit, um jeden Fall abzubilden», sagt Christian Randegger. «Aber trotzdem geht es bei diesem Tool auch darum, dass man eigene Dokumente hinterlegen kann und sie jederzeit abrufbar sind. Situationspläne beispielsweise, Grundrisspläne, Adressen, Telefonnummern und vieles mehr können die Unternehmen problemlos in ihrem Krisenkompass ergänzen.»
Letztlich entscheiden die Methode und die Hilfsmittel
Im Jahr 2005 war die Vogelgrippe ein grosses Thema, der Bund sagte, Unternehmen müssten einen Pandemieplan erstellen. «Ich kenne keinen Betrieb, der diesen Plan bei Covid aus der Schublade nahm und danach arbeitete», sagt Andreas Juchli. «Nach Covid haben viele ihren Pandemieplan angepasst. Unsere Empfehlung ist aber, gar keinen zu führen, sondern dies als Szenario in das Krisenmanagement zu nehmen. Es ist eine methodische Frage. Wenn ich eine Methode habe, ist das exakte Ereignis nicht so entscheidend. Ich muss nicht für alle Fälle genau wissen, was zu tun ist, sondern das Ereignis in der nötigen Ruhe Schritt für Schritt abarbeiten.»
Es braucht also eine Methode und passende Hilfsmittel, um systematisch vorzugehen. Da hilft ein digitales Tool wie der Krisenkompass. «Wir können diese digitale Toolbox auch von JDMT-Seite zur Verfügung stellen», sagt Andreas Juchli. «Und wo Lücken sind, springen wir ein. Wie bei der Schule, als wir innert einer Stunde eine Hotline mit Servicelevel bereit hatten. Vielleicht hat ein Betrieb genügend Ressourcen, um alle Rollen selbst zu besetzen. Vielleicht fehlt eine einzelne Rolle. Dann können wir diese operativ übernehmen.»
In Zusammenarbeit mit JDMT Group AG und 17minutes AG / Krisenkompass.