Sie sind in einem grossen Gebäude unterwegs, mit dem Sie nicht vertraut sind. Plötzlich geht das Licht aus und es wird stockdunkel. Was nun? Jetzt übernimmt die Notbeleuchtung. Sie gibt Ihnen Orientierung oder leitet Sie sicher aus dem Gebäude und weg von einer allfälligen Gefahrenlage. In der Schweiz ist die Gesetzgebung zur Notbeleuchtung komplex, da sie an drei verschiedenen Orten behandelt wird: im Arbeitsgesetz, beim Brandschutz und im Elektrizitätsgesetz.
Dementsprechend vielfältig sind die Interessen, Bestimmungen sowie Zielsetzungen. Seit mehr als einem Jahrzehnt engagiert sich die «Schweizer Licht Gesellschaft SLG» in diesem Spannungsfeld, deckt Widersprüche auf und macht sie für alle Beteiligten transparent. Mit einer Schweizer Norm hebt sie ihre Arbeit nun auf ein nächstes Level. Dazu erzählt uns Markus Christen, der Leiter der Fachgruppe «Notbeleuchtung», etwas mehr:
Welchen Zweck erfüllt die Notbeleuchtung?
Im Wesentlichen geht es darum, Menschen aus einer Gefahrenzone zu führen und Leben zu schützen. Beispielsweise, wenn in einem Gebäude wegen eines Blitzeinschlages oder eines Brandes das Licht ausgeht. Notbeleuchtungen gibt es auch ausserhalb von Gebäuden, namentlich in Tunnels oder Flugzeugen. Die Schweizer Licht Gesellschaft SLG fokussiert sich bei ihrem Engagement auf mittlere und grössere Gebäude.
Welche Qualitätsnote bekommen die Notbeleuchtungen in der Schweiz?
Die Gesetzeslage ist weltweit komplex. Die Schweiz ist jedoch eine Vorreiterin, wenn es um die Abstimmungen zwischen den Parteien geht. Weder in Deutschland noch in Österreich gibt es beispielsweise so klar abgegrenzte Verantwortungen wie hierzulande und wir sind in der internationalen Normungsarbeit eine geschätzte Partnerin. Somit klar eine Höchstnote.
Warum braucht es noch eine Norm für die Notbeleuchtung, wenn es bereits drei Gesetze dazu gibt?
Genau die drei unterschiedlichen Gesetze sind ein Grund, wieso es eine Norm benötigt. Vorgeschriebene Grenzwerte können in den einzelnen Gesetzen stark abweichen. Die Norm Notbeleuchtung SN EN 1838 schreibt beispielsweise vor, dass für Arbeitsplätze mit besonderer Gefährdung mindestens eine Beleuchtungsstärke von 15 Lux installiert werden muss. Das Regelwerk des ausführenden Elektrikers spiegelt diese Anforderung nicht und gemäss seinem Regelwerk ist es ausreichend, wenn er eine Beleuchtung mit 1 Lux montiert.
Diese fehlende Harmonisierung führt zu Unsicherheiten in der Planung und Umsetzung von Projekten. Unter dem Dach der SLG kümmert sich die «Fachgruppe Notbeleuchtung» seit mehr als zehn Jahren darum, genau die Schnittstellen und Verantwortlichkeiten zwischen den Instanzen klar aufzuzeigen sowie abzugrenzen. Daraus entstanden ist ein über 110-seitiges «Stand der Technik Papier Notbeleuchtung», das sich um die Planung, die Erstellung, den Betrieb, die Wartung sowie Entsorgung von Notbeleuchtungsanlagen kümmert. Der nächste logische Schritt ist für uns eine Schweizer Norm, um den Inhalt und die Arbeit auf eine höhere Wirkungsstufe zu heben.
War die «Fachgruppe Notbeleuchtung» bereits vor diesem Entscheid in Kontakt mit der Normungsarbeit?
Unsere Gruppe ist eine sogenannte Spiegelgruppe für alle internationalen Normen im Bereich Notbeleuchtung. Für uns ist die Mutter aller Normen die «SN EN 1838 Angewandte Lichttechnik – Notbeleuchtung». Im nächsten Jahr werden beide Normen «SN EN 1838 Angewandte Lichttechnik – Notbeleuchtung» und die «SN EN 50172 Sicherheitsbeleuchtungsanlagen» neu erscheinen, an deren Ausarbeitungen wir wesentlich beteiligt waren. Somit ist Normungsarbeit kein Neuland für uns und 2019 haben wir uns dazu entschieden, eine eigene Schweizer Regel – die SNR 19900 – zu gestalten.
Notbeleuchtungen und Fluchtwege
Was ist der inhaltliche Schwerpunkt der Norm?
Im Fokus steht vor allem die Interoperabilität zwischen der aktuellen Gesetzeslage und den Verantwortungen der Mitwirkenden wie Elektrokontrolle, Gebäudeversicherungen, Amt für Wirtschaft und Arbeit, Leuchtenhersteller, Anlagenhersteller oder die Elektroplaner. Sie alle haben mit Notbeleuchtungen zu tun und achten dabei naturgemäss auf die Eigenheiten ihrer Branche. Entscheidend ist aber klar zu definieren, wo Notbeleuchtungen eingesetzt werden müssen und wie die Parteien am effektivsten zusammenarbeiten, um so das optimale Ergebnis für die Sicherheit der Menschen zu erreichen. Dank der Norm erhalten einzelne Elemente des «Stand der Technik Papier Notbeleuchtung» einen verbindlicheren Charakter.
Welche Schwachstellen im aktuellen System werden mit der Norm gelöst?
Letztendlich liegt die Verantwortung für eine funktionierende Notbeleuchtung beim Eigentümer oder der Eigentümerin eines Gebäudes. Doch bei der Planung, Umsetzung und Instandhaltung spielen viele Parteien mit, die teilweise unabhängig voneinander an unterschiedlichen Projekten arbeiten. Die Darstellung zeigt die Schwachpunkte daraus deutlich auf. Befinden wir uns beispielsweise im Kühlraum oder in der Garderobe, dann bestimmt der Arbeitnehmerschutz die Regeln. Schauen wir uns die Fluchtwege an, meldet der Brandschutz seine Forderungen an. Die Installation der Notbeleuchtung übernimmt dann die Elektrikerin und beachtet dabei das Elektrizitätsgesetz. Die Norm wird für alle Beteiligten die Plattform sein, die alles zusammenführt und klar definiert, was wer wie umsetzt.
Wie ist man vorgegangen, um den Normungsprozess anzustossen?
Den Prozess starteten wir im Jahr 2019, indem unsere Fachgruppe auf die SNV zugegangen ist. Unser Ansprechpartner hat die Notwendigkeit sowie Wichtigkeit einer Schweizer Norm gleich erkannt. Unser Vorteil war, dass wir bereits Erfahrung in der Normungsarbeit und mit dem «Stand der Technik Papier Notbeleuchtung» eine sehr solide Basis hatten. In zahlreichen Calls haben wir während vieler Monate alle beschriebenen Module dieses Papiers in Teile zerlegt und neu sortiert. In einer Matrix haben wir festgehalten, welche Inhalte in die SNR und welche in die SNG gehörten.
Weiter sind bereits die Änderungen und Neuigkeiten aus den Normen «SN EN 1838 Angewandte Lichttechnik – Notbeleuchtung» und der «SN EN 50172 Sicherheitsbeleuchtungsanlagen» eingeflossen. Danach hat die SNV die Inhalte formal korrekt aufgearbeitet und so ist die SNR 19900 entstanden. Wir nutzen diesen schnelleren Weg als Vorstufe auf dem Weg zu einer ausgereiften Norm. Im Gegensatz zu dieser ist bei einer SNR kein Konsens notwendig. Wir sind nun in der Abschlussphase und am 1. Januar 2024 wird die SNR 19900 publiziert. Bei den Fachverbänden haben wir uns bereits rückversichert und wenn sich die Regel in den nächsten fünf Jahren bewährt, wird sie in die Schweizer Norm «SN 19900» umgewandelt.
Abkürzungsdschungel? Normenvarianten einfach erklärt
SN = Schweizer Norm
SN EN = Schweizer Ausgabe einer europäischen Norm
SN EN ISO = Schweizer Ausgabe einer europäischen Norm,
die identisch ist zu einer internationalen Norm
SNR = Schweizer Regeln
SNG = Schweizer Guide
Worauf ist die Fachgruppe besonders stolz?
Im Vergleich mit anderen SNRs haben wir die Prozesse und Verantwortlichkeiten klar geregelt. Das geht über eine rein technische Norm hinaus und ist einzigartig. Dieser Teil wird in der Praxis für sehr viel mehr Klarheit sorgen.
Wer sind die grössten Nutzniesser?
Die Fachplanerinnen und Elektriker sowie die Stellen, die intern bei Firmen oder Organisationen für den Brandschutz verantwortlich sind. Und wenn diese alle professionell zusammenarbeiten, profitiert jede Person, die sich in einem gut geplanten und unterhaltenen Gebäude aufhält.
Was hat Sie am meisten an der Normungsarbeit beeindruckt?
Erst, wenn man sich selbst mit Normungsarbeit beschäftigt, sieht man hinter die reinen Regeln. In der Normungsarbeit engagierte Personen sind keine Paragraphenreiter. Es geht ihnen um die Auswirkungen einer Norm, die unser Leben und Arbeiten verbessern sowie vereinfachen. Bei der Notbeleuchtung geht es in letzter Konsequenz nicht um die Technik, sondern um den Menschen. Und das motiviert mich am meisten.
Quelle: https://www.snv.ch
Markus Christen
Der Vorsitzende der Fachgruppe «Notbeleuchtung» ist hauptberuflich Leiter After Sales Service bei Zumtobel Licht AG. Bei der Schweizer Licht Gesellschaft SLG engagiert er sich als Entsandter seines Arbeitgebers. Ursprünglich ist er gelernter Elektriker mit der späteren Ausbildung zum Elektroingenieur sowie einem Abschluss in Wirtschaft. Bereits seit langer Zeit ist er in den unterschiedlichsten Verantwortungen im Lichtbusiness tätig, die letzten 14 Jahre davon bei Zumtobel.