Privathaftung: Am 1. Januar 2023 trat das neue Aktienrecht in Kraft, mit der Folge, dass für leitende Organe eines Unternehmens die Verantwortung und damit einhergehend auch die Haftungsfrage verschärft wurde. Darüber hinaus hat das Bundesgericht mit Urteil 4A_469/2021 vom 03.12.2021 einen Grundsatzentscheid in Bezug auf die Wahl des Verwaltungsrates gefällt, ebenfalls mit entsprechenden haftungsrechtlichen Konsequenzen.
Autor: Michel Rohrer
Das neue Aktienrecht schafft mehr Klarheit und stellt gleichzeitig eine weitere Verschärfung für die leitenden Organe eines Unternehmens dar. Und auch der Bundesgerichtsentscheid vom Dezember 2021 unterstreicht diese Tendenz der stärkeren Haftung für die leitenden Organe einer Unternehmung.
«Normalerweise» ist man als formelles Organ eines Unternehmens grundsätzlich vor privaten Haftungsrisiken und Durchgriffen geschützt, sofern man sich an die Gesetze hält und sich als Organ nichts zu Schulden kommen lässt. Darüber hinaus bestehen oft auch sogenannte Organhaftpflichtversicherungen, welche das verantwortliche Organ entsprechend schützen.
Generalversammlung und Wahl des Verwaltungsrates
Das Gesetz sieht vor, dass die Amtsdauer von Mitgliedern des Verwaltungsrates von nicht börsenkotierten Gesellschaften grundsätzlich drei Jahre beträgt (Art. 710 Abs. 2 Obligationenrecht OR). Weiter bestimmt das Gesetz, dass die ordentliche Generalversammlung (GV) jährlich innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattzufinden hat (vgl. Art. 699 Abs. 2 OR).
Was passiert nun, wenn man nach Ablauf der dreijährigen Amtsdauer die Wahl des Verwaltungsrates nicht traktandiert oder die Generalversammlung nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres durchführt?
Keine stillschweigende Verlängerung
Das Bundesgericht hat im zitierten Entscheid klargestellt, dass das Amt des Verwaltungsrates mit Ablauf des sechsten Monats nach Beendigung des betreffenden Geschäftsjahres endet, wenn keine Generalversammlung durchgeführt oder die Wahl des Verwaltungsrates nicht traktandiert wurde.
Eine stillschweigende Verlängerung wird damit klar verneint. Gutgläubige Dritte dürfen sich jedoch laut Bundesgericht auf den Handelsregistereintrag verlassen. Ausserdem verweist das Bundesgericht ausdrücklich auf die faktische Organschaft.
Was bedeutet faktische Organschaft?
Agiert ein Verwaltungsratsmitglied nach Ablauf seiner Amtsdauer weiter, gilt es als «faktisches Organ» und unterliegt den aktienrechtlichen Sorgfalt- und Treuepflichten sowie der Organhaftung.
Faktische Organe sind Personen, welche ohne formelle Wahl, allenfalls auch ohne Eintrag im Handelsregister und sogar ohne formelle Delegation von Aufgaben an der Geschäftsführung einer Gesellschaft teilnehmen bzw. deren Willensbildung massgeblich beeinflussen.
Privathaftung bzw. Persönliche Haftung
Sowohl formelle, materielle und faktische Organe unterstehen der Organhaftung bzw. der Verantwortlichkeit und können damit für die Verletzung von Pflichten persönlich haftbar werden.
So gesehen ist es doch einerlei, ob man nun persönlich haftet als formelles Organ oder als faktisches Organ – oder?
Nein, ganz und gar nicht. Als formelles (offizielles) Organ haftet man grundsätzlich nur dann persönlich, wenn man seine Pflichten als Organ nicht nachkommt. Im beschriebenen Fall hat der Verwaltungsrat durch die nicht rechtzeitige Durchführung der Generalversammlung bzw. durch das nicht traktandieren der Wahlen bereits seine aktienrechtlichen Sorgfaltspflichten verletzt und ist somit per se bereits in der persönlichen Haftung.
Erschwerend kommt hinzu, dass ggf. auch der Versicherungsschutz der Organhaftpflichtversicherung nicht mehr gewährt wird, weil dieser unter Umständen nur für die formellen, sprich offiziellen Organe gilt.
Fazit und Schlussbemerkung
Ich empfehle somit dringend jedem Unternehmen und dessen leitenden Personen die Generalversammlung innert der gesetzlichen Frist durchzuführen und auch die Traktandierung der Geschäfte sorgfältig vorzunehmen.
Falls Sie unsicher sind, welche Rolle Sie selber in einer Gesellschaft innehaben und für welche Aufgaben Sie allenfalls verantwortlich sind und haftbar gemacht werden können, so empfehle ich Ihnen dies durch eine Fachperson überprüfen lassen.
Der Autor lic. iur. Michel Rohrer ist ein ausgewiesener Spezialist für Arbeits- und Gesundheitsrecht und verfügt u.a. über eine Zusatzausbildung als Sicherheitskoordinator nach EKAS, Mail: michel.rohrer@aequitas-ag.ch, www.aequitas-kontrollen.ch, Tel. 061 281 75 15.