Donnerstag, 19. September 2024
Anzeige

Wenn in Schweizer Gebäuden etwa ähnlich viele Defibrillatoren (AED) installiert sind wie Feuerlöscher, dann erst dürfte die Mission von Aleks Brkic erfüllt sein. Er kümmert sich in der Lifetec AG um den Bereich Real Estate Development und möchte Immobilien durch intelligente Erste-Hilfe-Systeme notfallsicherer machen.

Rund 300’000 medizinische Notfälle zählt man jährlich im Schweizer Gewerbe, rund 8000 Herzkreislaufnotfälle gibt es hierzulande jedes Jahr. Der Rettungsdienst braucht in der Regel etwa zehn bis 15 Minuten, bis er ab Alarmierung am Einsatzort ist. Das ist für manchen Patienten bereits viel zu spät. Aleks Brkic von der Lifetec AG plädiert deshalb dafür, die Erste Hilfe etwas mehr wie den Brandschutz zu behandeln. Bei einem Feuer wartet nämlich auch niemand untätig auf die Feuerwehr, die vielleicht erst dann eintrifft, wenn das Gebäude bereits in Vollbrand steht.

Was hat Real Estate Development mit Erster Hilfe zu tun?

Real Estate Development hat mit Erster Hilfe ähnlich viel zu tun wie mit Brandschutz. Dort geht es einerseits um den Schutz des Gebäudes vor einem Brand. Andererseits geht es aber genauso darum, Menschen vor einem Personenschaden zu schützen. Brandschutz betreiben wir seit Jahrzehnten, was vom Gesetzgeber auch klar geregelt ist. Wenn ich mit Architekten spreche, finden sie manche Brandschutzmassnahmen eher übertrieben. Der Brandschutz macht etwa zwei bis drei Prozent der Bausumme aus. Das ist viel. Allerdings wurde dadurch auch viel erreicht. In der Schweiz gibt es jährlich nur noch rund 10’000 Brände im Wohnungsbereich und nur etwa 25 Personenschäden.

Anzeige

«Während wir beim Brandschutz vieles selbst in die Hand nehmen, überlassen wir bei medizinischen Notfällen noch viel zu viel den Rettungskräften.»

Was heisst das für die Erste Hilfe?

Es gibt deutlich mehr medizinische Notfälle als Brände. In sehr vielen dieser Situationen kommt jede Hilfe zu spät, wenn wir auf den Rettungsdienst warten. Während wir beim Brandschutz vieles selbst in die Hand nehmen, überlassen wir bei medizinischen Notfällen noch viel zu viel den Rettungskräften. Dabei ist es sehr einfach, unsere Mitmenschen in einem Gebäude besser zu schützen und ihnen in einem medizinischen Notfall zu helfen. Wir leben in einer smarten und vernetzten Welt und sind heute in der Lage, Notfallsysteme über Cloud-, IoT- und M2M-Technologie zu verbinden. Die Lifetec AG hat ein solches intelligentes System auf den Markt gebracht, das den Ersthelfern viel Unterstützung bietet.

Ab welchem Zeitpunkt in der Planungs- oder Bauphase muss Erste Hilfe oder ein AED schon mitbedacht werden?

Es ist bestimmt gut, wenn man von vornherein ein Erste-Hilfe-System einplant. Das erhöht die Effizienz, sowohl hinsichtlich der Hilfeleistung als auch hinsichtlich der Kosten. Aber um nochmals das Beispiel Brandschutz zu bringen: Auch dort hat man Gebäude nachgerüstet. Und als der Feuerlöscher erfunden wurde, hat man die Schläuche damit ersetzt. Mit einem autarken Erste-Hilfe-System ist das ebenfalls problemlos möglich. Man kann sie leicht in bestehende Gebäude integrieren.

Anzeige
Kennen Sie ein Beispiel, wo das besonders gut umgesetzt wurde?

Im Bernapark in Bern wurden in einem brachliegenden Fabrikgebäude Gewerberäumlichkeiten und Wohneinheiten gebaut. An neuralgischen Punkten wurden Erste-Hilfe-Systeme integriert. Aus jeder Einheit – ob Gewerbe oder Wohnung – kann innert 30 Sekunden ein Defibrillator erreicht werden. Das ist absolut effizient.

Bei einem Herzkreislaufstillstand sollte innerhalb von drei bis vier Minuten reagiert werden, damit die Überlebenschancen des Patienten hoch bleiben. Das bedeutet: Ersthelfer müssen schnell beim AED sein und schnell wieder beim Patienten. Hier ist das perfekt umgesetzt, auch weil diese Fragen von Beginn weg eingeplant wurden. Aber selbstverständlich muss eine solche Lösung verhältnismässig sein. Man muss das Gebäude und seine Nutzung genau anschauen, bevor man eine Empfehlung machen kann. Eine riesige Lagerhalle mit zwei Mitarbeitenden stellt andere Anforderungen als ein Wohngebäude mit 60 Bewohnern.

Wie offen ist das Gehör der Kunden für das Thema?

Es kommt Bewegung rein, sowohl bei Planern, Architekten und Bauherren als auch bei Immobilienverwaltern und Baugenossenschaften. Projekte wurden umgesetzt, man macht sich Gedanken. Selbstverständlich gibt es viele Planer, die ein Erste-Hilfe-System nur dann einplanen, wenn der Kunde das will. Weiss der Kunde aber gar nichts über diese Möglichkeit, wird es schwierig. Es braucht deshalb vermehrt Aufklärung. Die meisten Menschen sterben an einem Herzkreislaufnotfall. Darüber ist die Bevölkerung aber nicht wirklich gut informiert.

Der Kanton Tessin hat adäquat darauf reagiert. Dort setzt eine Stiftung flächendeckend AED und First Responder ein, um die Überlebensrate zu verbessern – mit Erfolg. Im Kanton Tessin ist die Überlebenschance rund zehn Mal höher als in der Deutschschweiz, nämlich rund 50 Prozent statt bloss fünf Prozent.

«Primär habe ich eine Mission: Die Deutschschweiz soll das Tessin überholen. Das ist viel Arbeit und braucht viel Aufklärung.»

Braucht es allenfalls mehr rechtliche oder politische Leitlinien?

Wir möchten kein politisches Lobbying betreiben. Wir finden auch, dass es kein Zwang sein sollte. Denn so macht man nämlich nur das Nötigste, aber nicht das Effizienteste. Das ist weit weg vom Sinn der Sache. Wir erkennen aber durchaus, dass wir unter Bürovermietern auf offenere Ohren stossen, vermutlich auch deshalb, weil es dort ein Gesetz gibt – nämlich, dass man für die Erste Hilfe der Mitarbeitenden besorgt sein muss. Einen Zwang, sich Defibrillatoren anzuschaffen, gibt es dadurch nicht. Allerdings kann es heikel werden, falls etwas passiert und nicht genug getan wurde. Deshalb sind Sicherheitsbeauftragte von Firmen offen für effiziente Lösungen. Wir bieten ihnen ein Rundum-Sorglos-Paket, mit dem sie sich absichern können.

In Wohngebäuden stellt sich hingegen häufig die Frage nach den Kosten und Nutzen – und wie man die Kosten beispielsweise durch die Nebenkostenabrechnung auf die Mieter abwälzen kann. Das sollte meiner Meinung nach aber kein Problem sein. Wenn ein Mieter einen monatlichen Betrag im Rahmen eines Kaffees für ein Erste-Hilfe-System im Gebäude bezahlt, macht er das ziemlich sicher gerne. Schliesslich kann ein Herzkreislaufnotfall auch jüngere Menschen treffen, die eigentlich gut auf sich achten.

Muss man also ein Stück am Verantwortungsbewusstsein der verschiedenen Player arbeiten?

Man muss aufklären, dann entwickelt sich auch ein Verantwortungsbewusstsein. Ich tauschte mich kürzlich mit einer Anwaltskanzlei aus, die auf Immobilienrecht spezialisiert ist. Die Kanzlei erkannte, dass ihr viele Informationen fehlten. Man wollte sich um das Thema kümmern, mietete aber nur einen Teil eines Gebäudes. Also zog die Kanzlei den Immobilienverwalter hinzu, der sofort reagierte. Jemand meldete direkten Bedarf an und weckte dadurch das Verantwortungsbewusstsein des Immobilienverwalters.

Fokussieren Sie denn eher auf Gewerbe- oder Wohngebäude?

Defibrillatoren begegnet man derzeit häufiger in Gewerbegebäuden oder in öffentlichen Umgebungen. Doch das klammert einen grossen Teil des Tages aus. In der Deutschschweiz sind wir, auch wetterbedingt, mehr an eine Immobilie gebunden als beispielsweise in Südamerika. Wir sind gerne zu Hause. Das heisst, mindestens ein Drittel aller Herzkreislaufnotfälle dürfte zu Hause eintreffen. Für den Wohnbereich gibt es aber keinerlei gesetzliche Orientierung. Deshalb steht uns hier besonders viel Aufklärungsarbeit bevor.

Häufig stellt sich die Frage, ob und wie man die Anschaffung eines Erste-Hilfe-Systems über die Nebenkosten abrechnen kann. Unserer Ansicht nach dürfte man hier auch altruistisch sein und die Kosten auf die eigene Kappe nehmen. Das kann einen nicht unwesentlichen Image-Gewinn mit sich bringen. Zudem sind zufriedene Mieter, die weniger umziehen und weniger Leerstände verursachen, auch ein finanzieller Gewinn.

«Defibrillatoren begegnet man derzeit häufiger in Gewerbegebäuden oder in öffentlichen Umgebungen. Doch das klammert einen grossen Teil des Tages aus.»

Was machen Sie denn genau für Ihre Kunden?

Wir schauen uns ein Gebäude an und geben Empfehlungen ab, wo ein System stehen könnte und welche Variante davon sich anbietet. Wir haben für jedes Gebäude und Gelände eine Lösung. Auch ein Konzept, das umliegende Firmen und Gebäude miteinbezieht, kann empfehlenswert sein. Die effizienteste Platzierung ist jene, die in 30 Sekunden erreicht werden kann. Natürlich muss man nicht bei jeder Wohnung ein System platzieren und es stellt sich die Frage, wie viel man überhaupt investieren möchte. Selbstverständlich sollte auch ein älterer Herr den AED innert 30 Sekunden erreichen, nicht nur ein sportlicher Jugendlicher. In diesem Rahmen und unter diesen Vorgaben suchen wir eine möglichst effiziente Lösung.

Weshalb soll es letztlich ein Lifetec-System sein?

Primär habe ich eine Mission: Die Deutschschweiz soll das Tessin überholen. Das ist viel Arbeit und braucht viel Aufklärung und Kommunikation. Wir möchten aber diese Mission mit unseren Produkten vorantreiben und erfüllen und sind überzeugt davon, dass sie einen massiven Effekt haben. Sie bauen eine automatische Verbindung zur Notrufnummer 144 auf, damit die Ersthelfer genau angeleitet und unterstützt werden. Das baut Hemmungen ab. Das Erste-Hilfe-Material im Koffer ist clever zusammengestellt; alles ist da, was benötigt wird. Der Ersthelfer kann sich auf die Erste Hilfe konzentrieren und der Rettungsdienst weiss dank GPS-Lokalisierung genau, wohin er muss.

Und wir übernehmen die Verantwortung, dass der Defibrillator im Koffer einwandfrei funktioniert. In der Schweiz sind 30’000 bis 40’000 AED installiert. Kontrollen werden teilweise vernachlässigt und die Ausfallquote ist relativ hoch, schätzungsweise bei über 40 Prozent. Wenn man diese Geräte dann wirklich mal braucht, ist entweder die Batterie entladen oder die Pads sind nicht leitfähig. Das führt zu verheerenden Situationen. Deshalb haben wir viel Technologie eingebaut. Über Cloud-, IoT- und M2M-Techologie wir wissen immer, in welchem Zustand ein AED von uns ist.

Wenn nun alle 40’000 Geräte funktionieren würden, wie weit wären wir trotzdem noch vom Optimum weg?

Wir haben uns das oft überlegt. Eine Zahl zu nennen ist schwierig. Wir sind eine sehr mobile Gesellschaft, mal zu Hause, mal an der Arbeit, mal beim Sport oder in der Freizeit. Hinzu kommen rund zwölf Millionen Touristen in Hotels und unterwegs. Krankenhäuser werden hingegen geschlossen. Das erhöht den Druck auf die Rettungsdienste. Es stellt sich die Frage, ob sie künftig überhaupt noch innert zehn bis 15 Minuten am Einsatzort sein können.

Umso wichtiger ist es, dass die Bevölkerung selbst helfen kann, und zwar möglichst überall. Selbstverständlich macht ein AED auf dem Matterhorn nicht viel Sinn, aber ich denke schon, dass wir mit 40’000 Geräten noch sehr weit weg von einem Optimum sind. Ehrlich gesagt: es müsste ungefähr gleich viele haben, wie es Feuerlöscher gibt.

Lesen Sie auch: «Woran scheitert Erste Hilfe?»

 

Teilen:

Chefredaktor safety-security.ch / CEO bentomedia GmbH / Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität SVBS / SFJ-Award für Qualitäts-Fachjournalismus

Antwort schreiben

Anzeige
Exit mobile version