Freitag, 20. September 2024
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Betriebssanitäter dürfen gemäss Heilmittelgesetz keinerlei Medikamente abgeben und anwenden, auch keinen Merfen-Spray. Das darf nur medizinisches Fachpersonal, beispielsweise in einer Apotheke, wo dieses beraten, Rückfragen stellen und über Nebenwirkungen aufklären soll. Allerdings tut es dies nicht konsequent. Und rund um Impfungen zeigt sich diese mangelnde Aufklärungspflicht teilweise ebenfalls.

Autoren: Michel Rohrer und Stefan Kühnis

Gemäss Heilmittelgesetz dürfen Heilmittel (Medikamente und Medizinprodukte) nur durch ausgebildete medizinische Fachpersonen, namentlich Ärzte, Apothekerinnen und Drogisten mit der notwendigen kantonalen Bewilligung abgegeben werden. Das betrifft auch nicht-rezeptpflichtige Medikamente, wie beispielsweise einen Merfen-Spray, der in den meisten Hausapotheken zu finden ist.

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Das ist für Betriebssanitäter, die als nicht-medizinisches Personal gelten – oft ärgerlich. Kleinere Schnittwunden, die zu den häufigsten Verletzungen im Betrieb zählen, können so nicht desinfiziert werden und ein Gang zur Apotheke oder zum Arzt wird für den Mitarbeitenden, der ansonsten leicht hätte versorgt werden können, vermehrt nötig. Wenigstens ein kleines, harmloses Sortiment an Medizinprodukten wünschen sich die meisten Betriebssanitäter in ihrem Erste-Hilfe-Koffer.

Andererseits ist diese Haltung rund um das Heilmittelgesetz auch verständlich und sie schützt die Betriebssanitäter sogar, indem sie ihnen die Verantwortung für unerwünschte Folgen nimmt. Ein Blick auf die Nebenwirkungen eines Merfen-Sprays sagt nämlich (Quelle compendium.ch):

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Selten (treten bei 1 bis 10 von 10’000 Patienten auf): Hautirritationen

Sehr selten: (treten bei weniger als 1 von 10’000 Patienten auf, können aber schwerwiegend sein): Schwierigkeiten beim Atmen, Schwindel (anaphylaktische Reaktion), Anschwellen des Gesichts und des Halses (Angioödem), Nesselsucht (Urtikaria).

Folgende Nebenwirkungen treten mit unbekannter Häufigkeit auf: Chemische Verbrennungen bei Neugeborenen

Aufklärung bei Medikamenten und fachliche Beratung

Genau deshalb darf nicht-medizinisches Personal wie Betriebssanitäter keine Medikamente abgeben. Sofern Ärzte, Apotheker oder Drogisten ein Medikament abgeben, sollte jedoch ein verstärktes Verständnis für Indikationen und Kontraindikationen vorhanden sein. Genau deshalb dürfen solche Berufsgruppen Medikamente abgeben. Die Idee dahinter ist auch, gezielt zu beraten und nachzufragen, wofür der Käufer das Medikament verwendet. Rund um die richtige Dosierung und Anwendung kann aufgeklärt werden und allfällige Kontraindikationen und Mischwirkungen (Interaktionen) mit anderen eingenommenen Medikamenten können abgeklärt werden.

Leider findet das in der Praxis viel zu selten statt. Zwar wurden wir auch schon sehr umfassend und gut beraten. Bei einem Selbsttest im Hinblick auf diesen Artikel gingen wir jedoch in drei verschiedene Apotheken. In der ersten kauften wir einen Merfen-Spray, in der zweiten Aspirin, in der dritten Ibuprofen. Bei keinem dieser drei Käufe wurden wir irgendetwas gefragt oder auf irgendetwas hingewiesen. Dabei wären solche Hinweise durchaus wichtig und interessant. Die Nebenwirkungen eines Merfen-Sprays haben wir bereits beschrieben. Bei Aspirin ziehen sich die Beschreibungen über Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Interaktionen über mehrere Seiten. Ein Auszug daraus (Quelle compendium.ch):

Sehr häufig (>1 von 10 Patienten): Mikroblutungen (70%)

Häufig (1 bis 10 von 100 Patienten): Magenbeschwerden

Gelegentlich (1 bis 10 von 1000 Patienten): Auftreten von Asthma, Dyspepsie, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe

Selten (1 bis 10 von 10’000 Patienten): Leberfunktionsstörungen, Nierenfunktionsstörungen (über akutes Nierenversagen wurde berichtet), Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Sehstörungen, Schwerhörigkeit, Verwirrtheitszustände, Thrombozytopenie, Agranulozytose, Panzytopenie, Leukopenie, aplastische Anämie, Eisenmangelanämie. Überempfindlichkeitsreaktionen in Form von erythematösen/ekzematösen Hauterscheinungen, Urtikaria, Rhinitis, verstopfter Nase, Bronchospasmus, angioneurotischem Oedem, Blutdruckabfall bis hin zum Schock. Magen-Darm-Blutungen, Magen-Darm-Ulzerationen, die sehr selten zur Perforation führen können.

Sehr selten (weniger als 1 pro 10’000 Patienten): Transaminasenerhöhung, Hypoglykämie, Störungen des Säure-Basen-Haushaltes, schwere Hautreaktionen bis hin zum Erythema exsudativum multiforme, Reye-Syndrom, Stevens-Johnson-Syndrom, toxisch epidermale Nekrolyse. Selten bis sehr selten sind auch schwerwiegende Blutungen wie z.B. gastrointestinale Blutungen, cerebrale Blutungen, besonders bei Patienten mit nicht eingestelltem Bluthochdruck und/oder gleichzeitiger Behandlung mit Antikoagulantien berichtet worden, die in Einzelfällen möglicherweise lebensbedrohlich sein können.

Übrigens: Eine massive Überdosierung kann lebensbedrohlich sein. Schwere Vergiftungserscheinungen können sich akut oder auch langsam (das heisst innert 12 bis 24 Stunden nach Einnahme) entwickeln. Nach oraler Einnahme einer Dosis bis 150 mg ASS/kg Körpergewicht ist mit leichten, bei Dosen >300 mg/kg Körpergewicht mit schweren Intoxikationen zu rechnen.

Auf Kontraindikationen und Interaktionen gehen wir nun gar nicht ein, das würde den Umfang zusätzlich sprengen. Nun aber noch zum gekauften Ibuprofen-Produkt. Hier ist die Liste der Kontraindikationen und der Interaktionen ebenfalls lang, wir beschränken uns auf die Nebenwirkungen gemäss compendium.ch:

Häufig (1 bis 10 von 100 Patienten): Verdauungsbeschwerden, Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, abdominale Schmerzen, Blähungen, Teerstuhl, Hämatemesis, gastrointestinale Blutungen, Zentralnervöse Nebenwirkungen wie Einschränkung des Reaktionsvermögens (besonders im Zusammenwirken mit Alkohol), Kopfschmerzen, Schwindel, Exantheme.

Gelegentlich (1 bis 10 von 1000 Patienten): Rhinitis, Hypersensitivität, Schlaflosigkeit, Angstgefühle, Sehstörungen, Ohrensausen, Schwerhörigkeit, Schwindel, Asthma, Bronchospasmen, Atemnot, Gefahr eines akuten Lungenödems bei Patienten mit Herzinsuffizienz, Müdigkeit.

Selten (1 bis 10 von 10’000 Patienten): Hepatitis, Ikterus, Leberfunktionsstörungen, Gastritis, Ulzerationen im Gastrointestinaltrakt, ulzerative Stomatitis, gastrointestinale Perforationen, Ödeme, Depressionen, Verwirrtheitszustände, Parästhesien, Schläfrigkeit, Anaphylaktische Reaktion, Lupus erythematodes-Syndrom, autoimmunhämolytische Anämie, Aseptische Meningitis, Hämatologische Auswirkungen wie Leukopenie, Agranulozytose, Thrombozytopenie, Neutropenie, aplastische Anämie, hämolytische Anämie (in der Patienteninformation umschrieben als «Angina, hohes Fieber, Anschwellen der Lymphknoten im Halsbereich»), Toxische Amblyopie, Optikusneuritis, toxische Optikusneuropathie, Urtikaria, Pruritus, Purpura, Angioödem, Photosensibilität, Nierentoxizität in verschiedenen Formen wie Nierenpapillennekrosen, interstitielle Nephritis, Nierenfunktionsstörungen mit Ödemen bis hin zu Nierenversagen.

Sehr selten (weniger als 1 pro 10’000 Patienten): Herzversagen, Herzinfarkt, Leberversagen, Psychotische Zustände, Bluthochdruck, Pankreatitis, Schwere Überempfindlichkeitsreaktionen wie z.B. Erythema Multiform und bullöse Hautreaktionen wie Stevens-Johnson-Syndrom und toxische epidermale Nekrolyse (Lyell-Syndrom).

Aufklärung rund um Impfungen

Wir würden uns wünschen, über solche Dinge aufgeklärt zu werden. Zum Beispiel wäre das Detail, das eine Nebenwirkung von Ibuprofen das Lyell-Syndrom ist, als Blutsverwandter einer Betroffenen doch sehr wesentlich. Andererseits dürfte eine mehrstündige Beratung beim Kauf von Ibuprofen nicht umsetzbar sein. Es bleibt also, sich selbst entsprechend zu informieren – was wohl bloss die allerwenigsten Menschen machen.

Eine noch stärkere Dimension erhält der Faktor Aufklärung rund um medizinische Eingriffe. Juristisch gesehen ist es nämlich so: Jeder medizinische Eingriff tangiert die körperliche Integrität. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung[1] ist ein lege artis, das heisst ein vorschriftsmässig, nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführter Heileingriff, eine Körperverletzung, die eines Rechtfertigungsgrundes bedarf. Dabei gilt als primärer Rechtfertigungsgrund die Einwilligung des Patienten, welche jedoch eine umfassende Aufklärung voraussetzt, um (rechts-)gültig zu sein.[2]

Eine Impfung ist unbestrittenermassen ein (medizinischer) Eingriff in unseren Körper. Dabei sollte nicht verschwiegen werden, dass Impfungen ebenfalls Nebenwirkungen haben und Schäden verursachen können. Doch auch hierzu wurden wir bei all den Stempeln im gelben Büchlein nie wirklich oder vollumfänglich aufgeklärt.

Rund um die Covid-Impfungen hält sich das Bundesamt für Gesundheit BAG mit der Aufklärung rund um die Risiken ziemlich zurück – so schreibt das BAG auf seiner Webseite: «[…] Die Risiken einer Infektion mit dem Coronavirus sind deutlich höher als die Risiken einer empfohlenen Covid-19-Impfung. Eine Covid-19-Erkrankung kann gefährlich und mit langfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen (z. B. Long Covid) verbunden sein. […]»[3]

Unter «Häufige Fragen» findet sich alsdann auf die Frage: «Welche Nebenwirkungen können nach der Impfung auftreten?» folgende Antworten: […] Sehr selten kann es zu schweren Nebenwirkungen kommen, beispielsweise zu einer allergischen Reaktion. […] In sehr seltenen Fällen wurden zeitnah nach der Impfung (i.d.R. innerhalb von 14 Tagen) Entzündungen des Herzmuskels oder des Herzbeutels beobachtet. Ein Zusammenhang mit der Impfung wird derzeit als möglich beurteilt. […]

Gibt man auf der Plattform «VigiAccess»[4] der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die aktuellen Namen der COVID-19-Impfstoffe[5] ein, so zählen zu den Nebenwirkungen u.a.: Störungen des Blut- und Lymphsystems, Herzprobleme, Probleme mit dem Gefässsystem, Atemprobleme, Augenerkrankungen wie Erblindungen, Störungen des Gehör- und Gleichgewichtsorgans oder Störungen des Nervensystems.

Somit muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Verabreichung der Impfstoffe – zumindest in gewissen Fällen – nicht ganz frei von schwerwiegenden Risiken für die Gesundheit des Patienten sind.

Anders ausgedrückt, die Impfung der COVID-19-Impfstoffe bedarf – aus juristischer Sicht – einer umfassenden Aufklärung, um als Rechtfertigungsgrund für die «Körperverletzung» zu genügen. Die Impfungen erinnern dann aber doch eher an den Medikamentenkauf in der Apotheke: Die zu impfenden Menschen werden meist nur mit einem Merkblatt oder einem Kleingedruckten Beipackzettel zu den häufigsten Nebenwirkungen, aber nicht vollumfänglich über alle möglichen bis sehr seltenen oder noch nicht gesicherten Risiken aufgeklärt – und müssen in vielen Impfzentren, Apotheken oder Arztpraxen auch keine schriftliche Bestätigung über die erfolgte Aufklärung unterschreiben, wie das beispielsweise vor einem medizinischen Eingriff im Spital üblich ist.

Zwar ist auch eine mündliche Zusage in der Schweiz gültig und es wird unserer Erfahrung nach tatsächlich gefragt, ob man noch offene Fragen habe und ob man die Person nun impfen dürfe. Das Problem bei der Mündlichkeit liegt allerdings darin, dass sie sich schwer beweisen lässt, sofern keine Zeugen anwesend waren und keine Tonaufnahme existiert.

Aufklärung kann verunsichern

Es ist durchaus denkbar, dass eine solche Aufklärung bewusst nicht vollumfänglich stattfindet. Während sich nämlich rund um Medikamente wie Merfen-Spray, Aspirin oder Ibuprofen kaum jemand entsprechende Gedanken macht, die langen Listen an Nebenwirkungen nicht kennt und sie aufgrund positiver Erfahrungen in der Vergangenheit als nicht dramatisch einstuft (obwohl das faktisch fraglich ist), sieht das bei einem neueren Wirkstoff dann doch etwas anders aus. Eine lange Liste an Nebenwirkungen kann Impfwillige natürlich verunsichern und sie könnten es sich anders überlegen. Allerdings kann auch eine fehlende Aufklärung eine solche Verunsicherung auslösen, was dann selbst für eine Impfkampagne kontraproduktiv ist.

Klar ist: Eine mangelhafte Aufklärung hat – rein rechtlich gesehen – zur Folge, dass der «Patient» nicht rechtsgenüglich in die Behandlung beziehungsweise den Eingriff einwilligen kann. Ein solch medizinischer Eingriff ohne genügende Aufklärung stellt demnach eine Körperverletzung und eine Persönlichkeitsverletzung ohne genügenden Rechtsfertigungsgrund dar und kann sowohl strafrechtliche Sanktionen als auch zivilrechtliche Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche nach sich ziehen.

Das sollte in allen hier genannten Bereichen doch besser beachtet werden. Es geht letztlich um Transparenz, Vertrauensbildung und den rechtlichen Schutz der Betriebssanitäter, der Apotheker und Drogisten sowie der Mitarbeitenden in Impfzentren – es geht aber auch um den gesundheitlichen Schutz der Mitarbeitenden im Betrieb, der Kunden in der Apotheke und der Geimpften und Impfwilligen.

Die Gefahr, dass man – trotz der (teilweise) mangelhaften Aufklärung – im Falle von schweren Nebenwirkungen, die Personen belangen kann, welche einem das Medikament verkauft haben oder den Impfstoff verabreicht haben, ist jedoch eher als gering einzustufen. Allfällige Zusammenhänge zwischen der Wirkung des Medikaments oder des Impfstoffes auf die Gesundheit der betroffenen Person, sind derart komplex und werden auch von weiteren Einflüssen (Umwelt, Ernährung, Krankheitsgeschichte usw.) stark beeinflusst, dass eine Haftung eher unwahrscheinlich ist.

So bildet die mangelhafte oder ungenügende Aufklärung zwar einen Rechtsverstoss, namentlich eine Körper- und eine Persönlichkeitsverletzung, aber letztlich ohne Rechtsfolgen.

[1]    BGE 117 Ib 197 ff.

[2]    Privatrechtlich hat die Aufklärungspflicht ihre Grundlage in den Sorgfalts- und Treuepflichten, die in Art. 398 OR fixiert sind. Daneben gibt es zahlreiche Weisungen, Spitalorganisationsverordnungen und dergleichen, welche ebenfalls eine umfassende Aufklärungspflicht des Arztes statuieren (vgl. z.B. die Art. 55 der Spitalorganisationsverordnung des Kantons SG).

[3]    https://bag-coronavirus.ch/impfung/nebenwirkungen-fragen/#contents1 – #6Risiko vs. Nutzen.

[4]    http://www.vigiaccess.org/

[5]    z.B. «Covid-19 Vaccine Moderna», «Comirnaty» von «Pfizer/Biontech» oder «Vaxzevria» von «AstraZeneca»

Lesen Sie auch: «Recht: Impfpflicht am Arbeitsplatz?»

lic. iur. Michel Rohrer ist ausgewiesener Spezialist und Sicherheitskoordinator nach EKAS u.a. spezialisiert auf Arbeits- und Gesundheitsrecht, Internet www.aequitas-kontrollen.ch, Mail michel.rohrer@aequitas-ag, Telefon 061 281 75 15.

 

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Chefredaktor safety-security.ch / CEO bentomedia GmbH / Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität SVBS / SFJ-Award für Qualitäts-Fachjournalismus

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