Freitag, 20. September 2024
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Fast zwei Wochen fällt der oder die durchschnittliche Vollzeit-Arbeitnehmende in der Schweiz jedes Jahr krankheitsbedingt aus. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) bietet sich deshalb nicht nur an, sondern drängt sich sogar auf. Wir sprachen mit Monika Suter, Head of HR Operations & Health bei Lifetec AG, über BGM und über ein passendes Patentrezept.

Noch nie gab es in der Schweiz so viele krankheitsbedingte Ausfälle wie im letzten Jahr. Vollzeitarbeitende fehlten im Schnitt 9,3 Tage oder fast zwei Arbeitswochen am Arbeitsplatz. Rechnet man mit 600 bis 1000 Franken Durchschnittskosten pro Ausfalltag, verursacht das also rund 22 Milliarden Schweizer Franken an Kosten.

Frau Suter, was haben diese Zahlen nun mit BGM zu tun?

BGM spart Kosten und erhöht den Output. Kosten durch Absenzen – also indirekte Lohnfortzahlungen, Mehrbelastung im Team, Produktionsausfälle, Lieferverzögerungen und Know-how-Verlust – werden um 20 Prozent reduziert. Ausserdem steigt dadurch das Leistungspotenzial der Angestellten. Studien* kommen für die Schweiz zu folgenden Ergebnissen:

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  • 29 Prozent der Betriebe in der Deutschschweiz haben eine systematische BGM-Umsetzung
  • 30 Prozent der Arbeitnehmenden fühlen sich «gestresst» (Job-Stress-Index)
  • In den KMU gibt es noch viel Potenzial im BGM, da sie über weniger Fachexpertise und wenig Zeit verfügen
  • Geschätzte 6,5 Milliarden Schweizer Franken jährliche Einsparungen mit BGM wären möglich

Worum geht es denn eigentlich im BGM?

Der Mensch mit seinen ganzheitlichen Bedürfnissen steht heute auch im betrieblichen Kontext mehr denn je im Mittelpunkt. Die Work-Life-Balance ist für viele ein zentrales Thema. Im BGM geht es vor allem um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Es geht darum, Handlungsbedarf aufzuzeigen und diesen gleichzeitig in ein positives Licht für die Verantwortlichen und die Unternehmung zu stellen. BGM hilft, Win-Win-Situationen zu schaffen. Die Lösungen sollen pragmatisch und geschäftsorientiert sein und systematisch umgesetzt werden.

Es geht also auch nicht um einen Früchtekorb, Wasserspender und eine Massageliege?

Der Apfeltag und das kostenlose Wasser sind heute allerhöchstens noch ein Teil der sogenannten Betrieblichen Gesundheitsfördernden Massnahmen (BGF). BGM ist das übergeordnete Management-Gesamtsystem und umfasst viel mehr: Erste Hilfe, physische Gesundheit, Ergonomie und mentale Gesundheit. Dabei sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Ob Essenscoupons, Rabatte in Fitnesscentern, interne Weiterbildungen, Creative Days, Gesundheitschecks – alles, was zum Leitbild eines Unternehmens passt, geht. Aber die einzelnen Massnahmen müssen zum Unternehmen passen, sonst werden sie nicht genutzt und sind vergebliche Mühe und verlorenes Geld.

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Neben Themen, die auf die physische Unversehrtheit abzielen, ist also auch die mentale Gesundheit ein BGM-Thema?

Auf jeden Fall ist das ein wichtiges Thema im Rahmen des BGM. Mentale Gesundheit muss trainiert werden. Und das psychische Wohlbefinden im Betrieb kann viel zur mentalen Gesundheit beitragen.

Was hat Erste Hilfe im BGM zu suchen? Das ist doch eher ein reaktives Thema.

Nehmen wir beispielsweise an, im Betrieb gab es eine Reanimation, die nicht erfolgreich war. Das ist eine sehr belastende Situation für die Ersthelfer. Sie brauchen ein Debriefing oder Defusing und dieser Umgang mit solchen Situationen ist durchaus ein BGM-Thema. Und das gilt übrigens auch, wenn es nicht um eine Reanimation, sondern beispielsweise um die Versorgung einer Schnittwunde geht. Sie beeinflusst die Gesundheit der Mitarbeitenden in der Gegenwart und Zukunft.

Woran können Unternehmen rund um BGM scheitern?

Vielfach scheitert es an der Kommunikation. Benötigt wird eine Kombination von Top-Down- und Bottom-Up-Ansätzen, also ein Kommunikationskreislauf. Adressatengerechte Kommunikation ist ein Erfolgsfaktor, damit sich Mitarbeitende verstanden und wertgeschätzt fühlen.

Wie schwierig oder einfach ist es für einen Arbeitgeber, auf die Gesundheit der Mitarbeitenden einzugehen? Wird da nicht – aus Sicht der Mitarbeitenden – rasch auch eine Grenze überschritten?

Die Grundvoraussetzung ist die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden. Unternehmen müssen verstehen, dass sie sich jeden Tag bei ihren Mitarbeitenden neu bewerben. Das einzig Beständige ist der Wandel und daher ist ein intaktes Team umso entscheidender. Gesunde und motivierte Mitarbeitende, die flexibel agieren können, sind das Kapital eines jeden Unternehmens. Es lohnt sich deshalb, ihrer Gesundheit Sorge zu tragen und natürlich auch ihre Privatsphäre zu respektieren.

Was tut ein Unternehmen also am besten, um sich in Sachen BGM besser aufzustellen?

Starten sollte man immer mit einer guten Analyse der Ist-Situation. Externe BGM-Fachpersonen können dabei helfen, die entsprechenden BGM-Strukturen systematisch zu eruieren und entsprechend einzuführen. Die Hauptgesprächspartner zum Thema BGM sind die Führungskräfte der betreffenden Organisation. BGM ist ein Management-Thema. Deshalb ist das Commitment des Managements essenziell für ein erfolgreiches BGM. Ohne dafür bereit zu sein, sich in diesen Prozess zu begeben, müssen wir nicht damit anfangen. Es wird eine Kultur in den Betrieb implementiert, wenn das Management das nicht will, können wir nichts erreichen. Wenn sich das Unternehmen dann auf die Reise begibt, sollte der Erfolg mit relevanten Kennzahlen und bezogen auf das definierte Ziel laufend gemessen werden.

Sie bieten Quick-Checks rund um das BGM in Unternehmen an – was machen Sie da und reicht das schon aus, um alle Handlungsfelder und Potenziale zu entdecken?

Viele Unternehmen möchten sich in diesem Bereich verbessern und setzen dazu auf externe Unterstützung. Sie scheuen sich aber, direkt in ein umfangreiches Projekt einzusteigen. Einerseits sind die zu lösenden Fragestellungen noch zu wenig klar. Andererseits möchten sie einschätzen können, ob der Berater fachlich und menschlich zum Unternehmen passt. Genau hier setzt der Quick-Check von Lifetec an. Mit einem Kurzprojekt vor Ort ermitteln wir, welche Schwachstellen bestehen und welche Handlungsoptionen sich bieten.

Der Fokus liegt auf «Quick Wins», die mit kleinem Aufwand eine grosse Verbesserung erzielen. Daneben zeigen wir aber auch Möglichkeiten auf, wie es mittel- bis längerfristig gelingt, grosse Risiken für Mitarbeitende und Kunden zu reduzieren. Im Rahmen eines Quick-Checks lernt das Unternehmen unsere Berater kennen und kann entscheiden, ob es den Weg gemeinsam mit uns weitergehen will.

Wie gehen Sie dabei vor?

In einer Kurzbegehung von zirka drei Stunden ermitteln wir den Ist-Zustand im BGM und analysieren gemeinsam mit den BGM-Verantwortlichen der Kunden aktuelle Strukturen und Optimierungsmöglichkeiten von gesundheitsrelevanten Faktoren im Betrieb. Unsere Feststellungen und Erkenntnisse halten wir in einem schriftlichen Bericht fest. Die einzelnen Prüfpunkte werden nach dem Grad der Umsetzung klassifiziert. Der Bericht liefert die Grundlage für Entscheide über effektive, gesundheitsfördernde Massnahmen und, in einem weiteren Schritt, für strukturelle Veränderungen hin zu einem intelligenten BGM. Das Ziel: die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeitenden zum nachhaltigen Unternehmenserfolg.

Dreht sich dabei alles nur ums BGM?

Wir bieten den Quick-Check in drei Varianten an: den BGM Quick-Check, den HSE Quick-Check und den Assessment Quick-Check. Im BGM Quick-Check dreht sich tatsächlich alles ums BGM.

Der HSE Quick-Check betrachtet alle Themen aus dem Bereich Health, Safety und Environment. Auch er dauert in der Regel rund drei Stunden. Die ermittelten Risiken und unsere Feststellungen besprechen wir direkt vor Ort und erstellen danach einen schriftlichen Bericht. Die einzelnen Situationen werden nach Gefährlichkeit und Handlungsbedarf klassifiziert. Der Bericht liefert damit eine optimale Grundlage für die Planung und Priorisierung von HSE-Massnahmen.

Der Assessment Quick-Check umfasst einen rund dreistündigen Workshop mit dem Management der Kunden. Wir diskutieren und beurteilen dabei alle HSE-Aspekte. Der Einbezug aller Beteiligten erlaubt das Einbringen von individuellen Wahrnehmungen. Die Dokumentation auf einer Map zeigt Schwachstellen und Abhängigkeiten transparent und fördert so ein gemeinsames HSE-Verständnis des Managements. Auf dieser Basis können informierte Entscheide für eine systematische Weiterentwicklung im HSE und BGM getroffen werden.

Ich suche immer noch nach einem Patentrezept für BGM im eigenen Unternehmen.

Es gibt keine Patentrezepte. Die Strategien müssen zum Unternehmen und zu den dort arbeitenden Menschen passen und sollen als ganzheitlicher Kreislauf und nicht linear von A-Z verstanden werden. Ich komme aus der präklinischen Medizin, arbeitete 20 Jahre lang als Rettungssanitäterin an der Front und bin in der Fitnessbranche etabliert. Aus all diesen Erfahrungen weiss ich: Anhaltspunkte aus Standards sind gut. Aber wenn man das auf den Menschen adaptieren will, dann ist der Mensch ein Individuum und alles funktioniert für jeden Menschen und auch für jedes Unternehmen etwas anders. Das gilt auch für das gesamte BGM.

*Quellen:

Füllmann, D., Schönholzer, T., Flükiger, N., Nauser, O., Jenny, G., Jensen, R. & Krause, A. (2021). Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Schweiz: Monitoring-Ergebnisse 2020. Arbeitspapier 54. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz.

Ulshöver, C. & Jensen, R. (2022). Job-Stress-Index 2022: Monitoring von Kennzahlen zum Stress bei Erwerbstätigen in der Schweiz. Faktenblatt 72. Bern und Lausanne

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Chefredaktor safety-security.ch / CEO bentomedia GmbH / Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität SVBS / SFJ-Award für Qualitäts-Fachjournalismus

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