Building Information Modeling (BIM) setzt sich in der Planungs-, Bau- und Immobilienbranche durch und wird diese grundlegend verändern. Ein Blick auf die Naturgefahren-Prävention zeigt: die BIM-Methode könnte sowohl bezüglich der Prozesse als auch durch den Einsatz neuer Technologien viele seit Jahrzehnten bestehende Probleme entschärfen. Bauherren, Planer und Gebäudebetreiber werden sich intensiver mit diversen Risiken auseinandersetzen, wodurch ein bewusster Umgang mit Naturgefahren entsteht. Die Erkenntnisse des Forschungsprojekts «Optimierter Gebäudeschutz vor Naturgefahren mit BIM» könnten auch weitere Fachthemen motivieren, sich mit BIM auseinanderzusetzen.
Autor: Benno Staub
Die Datengrundlagen, Planungshilfen und Normen für das naturgefahrensichere Bauen sind vorhanden und können grundsätzlich auch ohne BIM erfolgreich angewandt werden. Ein häufiges Problem ist jedoch die zu späte Erkennung von Risiken, primär wegen mangelnder Sensibilisierung und wenig miteinander vernetzten Daten. Viel zu oft werden Schutzmassnahmen erst bei fortgeschrittener Planung und unter Zeitdruck ergänzt, beispielsweise weil diese für die Baufreigabe gefordert werden.
Dies zeigt sich exemplarisch an den viel zu oft verwendeten mobilen Hochwasserschutzmassnahmen wie Dammbalken, die bei ungenügender Vorwarnzeit keinen zuverlässigen Schutz bieten und langfristig gegebenenfalls sogar mehr kosten als permanente, bauliche Schutzmassnahmen. Ein weiteres Problem sind lückenhafte Schutzkonzepte, die zum Beispiel nicht für jede Gebäudeöffnung den entsprechenden Hochwasserschutz vorsehen. Wie bei allen Naturgefahren und vielen weiteren Fachthemen sind Details relevant und jede verbleibende Schwachstelle kann Risiken bergen.
Das eigentliche Ziel ist eine für die Betriebsphase optimale Lösung, welche unter anderem die Schutzfunktion vor Naturgefahren langfristig gewährleisten kann und den Anforderungen und Möglichkeiten der Gebäudenutzer und ‑Betreiber bestmöglich entspricht. Die vorausschauende und detaillierte Planung der Planung bei Anwendung der BIM-Methode wird zweifellos helfen, optimalen Lösungen bezüglich diverser Ansprüche an Gebäude näher zu kommen. Auf der technischen Ebene kann das digitale Bauwerksmodell – verknüpft mit präzisen Daten und der nötigen Intelligenz – die Prozesse unterstützen und so mithelfen, keine wichtigen Abklärungen zu vergessen.
Auf BIM zu warten bringt nichts – BIM muss man ausprobieren
Die Erwartungen an BIM sind hoch und versprechen Steigerungen in Bezug auf Qualität und Effizienz für alle an der Planung, Realisierung und Bewirtschaftung von Bauwerken Beteiligten. Zugleich wird die Umsetzung der BIM-Methode im Sinne einer integrierten Planung kaum von heute auf morgen gelingen. Die digitale Transformation der Planungs- und Baubranche ist ein Lernprozess, der in erster Linie die Menschen fordert, deren altbekannte Muster neu zu denken.
Neu denken heisst Dinge hinterfragen, über den eigenen Tellerrand blicken und mutig Neues ausprobieren. Natürlich treten dabei Probleme und ‘Fehler’ auf. Doch gerade am Umgang mit solchen Erfahrungen wächst der Lernprozess. Über Umwege in der früheren Planung werden Ziele erreichbar, die den Ansprüchen des Bestellers viel besser gerecht werden als erwartet. Im Idealfall ist der Weg zur optimierten Lösung weder länger noch teurer, aber transparent dokumentiert und auf guten Entscheidungen abgestützt.
Lebenszyklusbetrachtung als Chance für die Naturgefahrenprävention
BIM wird erst mit dem Einbezug der Nutzung und Prozessabläufe im Betrieb richtig interessant, denn das Ziel steht am Anfang. Der Fokus auf die Betriebsphase und die agile Zusammenarbeit über die Disziplinen hinweg waren auch die Hauptgründe, das Projekt «Optimierter Gebäudeschutz vor Naturgefahren mit BIM» zu starten. In diesem Forschungsprojekt wurden praxistaugliche Antworten gesucht auf Fragen wie:
- Wie funktioniert eine risikooptimierte Planung unter Anwendung der BIM-Methode?
- Welche technischen Hilfsmittel können das naturgefahrengerechte Bauen unterstützen?
- Welche Informationen und Prozesse braucht es zur Optimierung der Sicherheit im Betrieb?
Für das Nischenthema der Naturgefahren sieht die BIM-Welt derzeit kaum Lösungen vor. Ein zentrales Problem sind fehlende Standards: Gefordert sind gleichermassen eindeutige wie auch flexible Modellierungsrichtlinien, welche die erforderlichen Informationen betreffend Gefährdung, Schutzzielen und Prüfkriterien im offenen Datenaustauschmodell Industry Foundation Classes (IFC) strukturieren und beschreiben.
Wo keine entsprechenden Richtlinien und Standards bestehen, braucht es ein proaktives Vorgehen der Fachbranche, um solche zu erstellen. Denn nur wer taugliche Lösungen vorschlägt, wird die Prozesse von morgen mitbestimmen können. Das Forschungsprojekt hat optimale Prozessabläufe identifiziert am Beispiel der Naturgefahren Hagel, Hochwasser, Erdbeben und Steinschlag. Zugleich wurden Prototypen entwickelt, um Gefahreninformationen aus GIS-Systemen automatisch in das IFC-Format zu übertragen und mit Prüfregeln am digitalen Bauwerksmodel die Planung, Realisierung und Bewirtschaftung zu unterstützen.
«Risiko-Dialog» dank integrierter Planung
Die frühzeitige Erkennung und Lösung von Zielkonflikten ist in der Lebenszyklusbetrachtung zentral und eine eigentliche Grundvoraussetzung, um komplexe Themen mit vielen Wechselwirkungen wie etwa das nachhaltige Bauen erfolgreich umzusetzen. Dazu gehört auch ein weitsichtiger Umgang mit Risiken: Niemand geht absichtlich Risiken ein, ohne deren Konsequenzen abschätzen zu können und Gegenmassnahmen zumindest geprüft zu haben. Überall in der Schweiz bestehen relevante Gefährdungen infolge Sturm, Hagel, Starkregen sowie Schnee, Erdbeben und Radon – wenn auch mit regionalen Unterschieden. Je nach Standort kommen lokale Gefahren wie Hochwasser oder Lawinen hinzu.
Seit Jahrzehnten postulieren Naturgefahrenexperten einen Risikodialog, bei dem alle Risikoträger gemeinsam über den Umgang mit Naturgefahren entscheiden und sich so vor inakzeptablen Risiken schützen und tolerierbare Risiken gegebenenfalls bewusst akzeptieren. Für die Umsetzung dieses Risikodialogs besonders wichtig sind gute Daten und eine transparente Kommunikation. BIM kann diesen Prozess unterstützen, denn das «I» im digitalen Bauwerksmodell «BIM» hat es in sich: Sämtliche Informationen betreffend Risiken, Schutzzielen und Schutzmassnahmen können zentral im digitalen Bauwerksmodell festgehalten und mit externen Datenquellen angereichert werden – dies in einem an die Phase angepassten Detailgrad und in einer von Mensch und Maschine interpretierbarer Art und Weise.
Semi-automatische Modellprüfungen können insbesondere in den frühen Planungsphasen und beim Übergang zwischen den Phasen auf wichtige Fragen und Abklärungen aufmerksam machen, die Vollständigkeit und Konsistenz von Informationen prüfen und auf mögliche Schwachstellen des BIM-Modells und möglichen Lösungsvarianten hinweisen. Die umfangreichen und exakten Geometrie- und Fachdaten erleichtern zudem den Einbezug von Simulationen für die Planung und Nachweisführung.
Vorteile interdisziplinärer Planungsteams
Dass ein interdisziplinärer Ansatz im Sinne der BIM-Methode zielführend ist, zeigt exemplarisch der Umgang mit Regenwasser: Infolge der Klimaerwärmung werden Hitzeperioden im Sommer mit extremer Trockenheit wie auch starke Niederschläge häufiger und intensiver ausfallen. Umso wichtiger ist ein nachhaltiger Umgang mit der Ressource Wasser in der bebauten Umgebung. Regenwasser darf zwar keinen Schaden an Gebäuden anrichten, sollte aber nicht einfach auf dem schnellsten Weg ‘entsorgt’ werden. Das grosse Ziel sind an veränderte Rahmenbedingungen anpassbare und gegenüber verschiedensten Einwirkungen robuste, resiliente Gebäude.
Sowohl die Hitzeinsel-Problematik in Städten wie auch die Biodiversität und die Lebensqualität profitieren von einem aktiven ‘Management’ des Regenwassers. Neue Formen der Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit, wie sie die BIM-Methode gemäss SIA 2051 vorsieht, bieten eine gute Ausgangslage zur Lösung solcher Herausforderungen. Die BIM-Methode hat somit grundsätzlich grosses Potential für facettenreiche, fachlich anspruchsvolle Themen wie etwa das nachhaltige Bauen. Um dieses Potential von BIM voll auszuschöpfen braucht es aber noch viel Effort – und Menschen, die sich auf das Abenteuer BIM einlassen.
Forschungsprojekt «Optimierter Gebäudeschutz vor Naturgefahren mit BIM»
Wie der Gebäudeschutz vor Naturgefahren mithilfe der BIM-Methode verbessert werden kann, wird derzeit in einem Forschungsprojekt der Präventionsstiftung der Kantonalen Gebäudeversicherungen untersucht. Hauptpartner und Leiter des Projekts ist das Institut Digitales Bauen der FHNW, das Institut für Life Sciences und Facility Management der ZHAW deckt den Fachbereich Facility Management ab. Weiter beteiligt sind die Hochschule für Technik und Architektur Freiburg sowie Experten aus der Privatwirtschaft. Im Zusammenhang mit diesem Projekt untersuchen Studienarbeiten an der ZHAW, welche Informationen bezüglich Naturgefahren in der Betriebsphase besonders wichtig sind und welche Kenntnisse FM-Spezialisten für einen erfolgreichen Umgang mit Naturgefahren benötigen. Infos: https://www.vkg.ch/de/naturgefahren/projekte/?tab=bim
Planungshilfen für den Schutz vor Naturgefahren
Die Informationsplattform www.schutz-vor-naturgefahren.ch bietet eine Übersicht zum naturgefahrensicheren Bauen und vernetzt Planungshilfen wie zum Beispiel das Hagelregister (www.hagelregister.ch). Besonders zu erwähnen sind zudem die Normen SIA 261 und 261/1 (revidierte Version erscheint Ende 2020) sowie die Dokumentation SIA D 0260 «Entwerfen & Planen mit Naturgefahren im Hochbau» und die SIA 4002 «Hochwasser – Wegleitung zur Norm SIA 261/1». «Schutz-vor-Naturgefahren» wurde von den Kantonalen Gebäudeversicherungen ins Leben gerufen und wird heute von einer für die Schweiz einmaligen Allianz wichtiger Akteure im Bereich Gebäudeschutz getragen.
Benno Staub
Fachperson Elementarschaden-Prävention, Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen VKF