Freitag, 20. September 2024
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Gestern wurde der erste Fall des neuen Corona-Virus in der Schweiz bestätigt. Es wird wohl nicht der letzte Fall sein. Was muss man als Betrieb nun tun? Uwe Müller-Gauss, ein Experte für betriebliche Pandemieplanung, gibt Auskunft.

Ein Pandemieplan als integraler Bestandteil des Business Continuity Management befähigt ein Unternehmen, die essenziellen Geschäftsprozesse während einer Grippe-Pandemie aufrecht zu erhalten und der rechtlichen Verantwortung zum Schutz der Angestellten gerecht zu werden. Uwe Müller-Gauss erstellte schon Dutzende Pandemiepläne für unterschiedlichste Betriebe.

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Der Corona-Virus ist in der Schweiz angekommen. Können Unternehmen nun noch einen Pandemieplan erstellen?

Uwe Müller-Gauss: Jetzt muss man nicht mehr anfangen. Wenn man noch keinen Pandemieplan hat, muss man ihn für diese Pandemie nicht mehr machen. Aber man kann natürlich einzelne Massnahmen treffen. Ich sitze als externer Experte in verschiedenen Krisenstäben und wir formulieren aufgrund der aktuellen Entwicklung täglich neue Massnahmen, die vorbereitet oder sogar umgesetzt werden. Ich verweise auf die Homepage des BAG. Dort sind die aktuellen Zahlen, Hinweise und Empfehlungen erhältlich. Auch die BAG-Hotline hilft (Tel. 058 463 00 00) und die Empfehlungen des BAG sollten unbedingt umgesetzt werden. Es ist besser, wenn die Betriebe darauf hinweisen, beim BAG Infos einzuholen und Fragen zu stellen als intern beim HR. Wenn man über das Wochenende nach Mailand will, sollte man nicht den Personalchef anrufen, um eine Erlaubnis einzuholen. Aber selbstverständlich kann man als Betrieb Reiserestriktionen für Mitarbeitende erlassen. Sitzungen in gefährdenden Regionen sollten, wenn möglich, via Skype oder ähnlichen Methoden abgehalten werden.

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Welche weiteren organisatorischen Massnahmen gibt es?

Ich habe einen Kunden mit einem Standort im Tessin, dort arbeiten zwei italienische Grenzgänger. Die beiden arbeiten nun von zu Hause aus. Wenn ein Betrieb diese Möglichkeit hat, sollte er sie einsetzen. Das ist in einem Produktionsbetrieb natürlich viel schwieriger. Ansonsten gelten wie gesagt die Empfehlungen des BAG. Wenn vorhanden, sollten Hygienemasken zur Verfügung gestellt werden. Und allem voran steht das regelmässige Waschen oder Desinfizieren der Hände.

Uwe Müller-Gauss.

Wie viele Betriebe haben einen Pandemieplan?

Die grossen Betriebe haben wohl alle einen, KMU vermutlich seltener.

Die Nachfrage nach Hygienemasken auch von Grossunternehmen zeigt aber, dass dieser Teil der Pandemieplanung bei vielen fehlt.

Vor der letzten drohenden Pandemie im Jahr 2009 schafften sich viele Betriebe solche Masken an. Die sind inzwischen abgelaufen und weil die Betriebe sie nicht brauchten, schafften viele von ihnen auch keine neuen Masken an. Ich habe aber auch einen Grosskunden, der alle drei Jahre eine Million neue Masken anschafft. Er hat nun Masken nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern auch für deren Angehörige. Es ist letztlich wie bei einer Versicherung. Ich sollte sie haben, ob ich sie brauche oder nicht. Aktuell gibt es jedenfalls keine Masken mehr zu kaufen, frühestens in ein paar Monaten werden sie wieder lieferbar sein. Auch auf den Impfstoff darf man sich noch nicht verlassen, das dauert noch eine Weile. Das BAG empfiehlt deshalb vor allem das Händewaschen und das ist auch tatsächlich sehr nützlich. Ich hatte beispielsweise nie mehr eine Erkältung, seit ich das konsequent mache.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen wird der Corona-Virus denn haben?

Ich als Ökonom sage immer, dass die Zahl der Krankheitsfälle und eventuellen Todesfälle gar nicht die zentrale Frage ist, sondern wie schwer die Wirtschaft krank wird oder abstirbt. In Mailand schlossen Restaurants. Solche Betriebe haben keine lange Liquidität. Nach einem Monat ohne Betrieb sind sie pleite. Die saisonale Grippe hat keine Wirkung auf die Wirtschaft, aber ein Corona-Virus wird einen grossen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen – nicht wegen der Krankheit, sondern wegen der Angst davor. In einem Grossraumbüro, wo ein Mitarbeitender den Virus hat, kommen auch die anderen Mitarbeitenden nicht mehr zur Arbeit. Schliesst eine Kinderkrippe, kann die Mutter nicht mehr arbeiten gehen. Das alles drückt auf die Liquidität der Unternehmen, auf die Kundenzufriedenheit und auf den Umsatz. Auch in Spitälern ist das ein riesiges Thema. In Quarantänegegenden werden Akutpatienten nicht mehr operiert. Das kann dramatisch sein.

Wenn man selber gut vorbereitet ist, hilft das auch nur bedingt, falls die wichtigsten Lieferanten oder Kunden das nicht sind.

Durch das viele Outsourcing und die weltweiten Lieferketten heutzutage ist das ein grosses Problem. Man ist selber vorbereitet, hat einen Pandemieplan, ist gut ausgerüstet – aber vor einem und nach einem funktioniert es nicht mehr. Es gibt keine Teile zum Produzieren und das Ausgangslager ist voll, weil man die Produkte nicht mehr absetzen kann. Gerade unter den KMU ist der Schaden dann enorm.

Was ist denn nun angesagt – Aktionismus oder Pragmatismus?

Ich vergleiche es immer mit dem Regenschirm. Wie oft gehen wir morgens mit dem Regenschirm raus, weil es vielleicht regnen könnte. Wir tragen ihn den ganzen Tag rum und brauchen ihn nicht. Aber trotzdem, man nimmt ihn mit. Den Sicherheitsgurt im Auto trage ich auch jeden Tag. Ich brauchte ihn noch nie. So ähnlich funktioniert es auch in diesem Fall: Man sollte sich unbedingt an die Empfehlungen des BAG halten und man sollte mit den Lieferanten und Kunden eine gute Verbindung aufrecht halten, um auf Veränderungen reagieren zu können. Allenfalls kann man auch versuchen, die Liquidität durch eine Kontokorrent-Erhöhung sicherzustellen.

Was tut ein Betriebssanitäter, wenn ein Mitarbeitender mit Husten und Fiebergefühl zu ihm kommt?

Wer sich krank fühlt, sollte telefonieren und nicht vorbeigehen. Das gilt sowohl für den Hausarzt als auch für den Betriebssanitäter. Man kann vor einem allfälligen Sanitätsraum ein Merkblatt anbringen: Falls man Grippesymptome hat, muss man vor dem Betreten des Raums die Hände desinfizieren und eine Hygienemaske anziehen. Sonst darf man nicht rein. Social Distancing nennt sich das. Das gilt auch im Alltag, wenn sich jemand im Umfeld nicht gut fühlt: Mindestens einen Meter Abstand voneinander halten, keine Gegenstände berühren, keine anderen Menschen berühren.

Ist die Pandemie überhaupt noch aufzuhalten?

Ich glaube nicht. Es dürften sehr viele Menschen angesteckt werden, aber vermutlich bleibt die Sterblichkeit tief. Der Virus wird nicht schlimmer sein als die saisonale Grippe. Ich glaube aber auch, dass sehr viele Menschen aus Angst zu Hause bleiben. Das verstärkt die Auswirkungen des Corona-Virus und das hat man bei der saisonalen Grippe nicht.

 

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Chefredaktor safety-security.ch / CEO bentomedia GmbH / Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität SVBS / SFJ-Award für Qualitäts-Fachjournalismus

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