Freitag, 20. September 2024
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Landwirte begegnen während ihrer Arbeit auf dem Bauernhof einer ganzen Palette von Gefahren. Wenn es zu Unfällen kommt, sind sie oft schwerwiegend. Darauf sind Bauernhöfe allerdings unterschiedlich vorbereitet.

«Menschen in der Landwirtschaft haben eine andere Hemmschwelle, die Notrufnummer 144 zu wählen», sagt Sandra Mettler. Sie ist Rettungssanitäterin in Winterthur – und wuchs selbst auf einem Bauernhof auf. «Leichtere Unfälle oder Verletzungen werden oft gar nicht erfasst. Wenn ich persönlich als Rettungssanitäterin zu einem Notfall auf einem Bauernhof gerufen werde, gehe ich davon aus, dass mein Wissen tatsächlich gebraucht wird und es herausfordernd werden könnte.»

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Schwere Maschinen, schwere Verletzungen

Da Landwirte bei unterschiedlichen Unfallversicherungen versichert sind, gibt es keine zentrale Meldestelle und deshalb haben Statistiken nur bedingt Aussagekraft. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) trägt zusammen, was sie aus offiziellen Medien- oder Polizeiberichten erfährt oder direkt erzählt erhält. Solche Meldungen sammelt sie seit rund 30 Jahren und kann deshalb durchaus gewisse Tendenzen feststellen: «Im Jahr 2018 gab es beispielsweise sehr viele tödliche Unfälle», sagt Mathias Reber, Sicherheitsingenieur und bei der BUL für das Thema Erste Hilfe zuständig. «Es ereigneten sich viele Stürze mit Transportern und Traktoren in Hanglagen. Das sind dann meistens sehr schwere oder sogar tödliche Unfälle. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Sicherheitsgurt nicht vorhanden war oder nicht getragen wurde. Bei solchen Unfällen kommt die Erste Hilfe oft zu spät.»

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Die tödlichen und schweren Unfälle ereignen sich vor allem mit Motorfahrzeugen und Maschinen, bei Arbeiten in der Höhe und bei Forstarbeiten. Die häufigsten Unfälle sind jedoch, wie in allen anderen Branchen, Sturz- und Stolperunfälle. Auch sie haben Potential für tödliche Verletzungen, enden jedoch glücklicherweise oft glimpflich. In solchen Fällen gehen Landwirte nicht gerne zum Arzt. Wenn sie ihre Verletzung selbst versorgen können, tun sie das.

Viele Berufe, viele Notfallmuster

Ein Landwirt vereint mehrere Berufe in einem: er ist Tierpfleger, Forstwart, Holzbauer, er hantiert mit Maschinen, Gefahrstoffen, arbeitet in der Höhe, im Silo, und vieles mehr. Diese Tatsache kann hinsichtlich der Sicherheit verschiedene Aspekte haben. «Diese Allrounder-Tätigkeiten setzen ein breites Fachwissen und viele Fähigkeiten voraus. Diese Vielseitigkeit kann allerdings auch zur Gefahr werden», sagt Mathias Reber. «Wer nur eine Woche im Jahr im Forst arbeitet, hat nicht die gleiche Erfahrung und teilweise auch nicht die gleich gute Ausrüstung wie ein Forstwart. Andererseits passieren bei abwechslungsreicher Tätigkeit nicht die gleichen Routinefehler wie in einem Beruf, wo man immer das gleiche macht. Also kann die Vielseitigkeit auch eine Chance sein».

Viel mehr Gefahr als Chance ist die Alleinarbeit. «Auch wenn wir davon abraten, allein Forstarbeiten zu tätigen, kommt das immer wieder vor», sagt Mathias Reber. «Geschieht dann ein Unfall, kann das Alarmieren schwierig sein. Kann der Landwirt beschreiben, wo er genau ist? Hat er sein Handy dabei? Hat dieses Empfang? Kann er es noch bedienen?»

Vorbereitung hat noch Potenzial

Aus der Sicht von Sandra Mettler haben wie viele Betriebe auch Bauernhöfe einen Nachholbedarf in Erster Hilfe. «Zwar haben sie meistens eine Notfallapotheke auf dem Hof, aber den letzten Kurs machten sie vor der Fahrausweisprüfung. Das ist bei den meisten Landwirten schon länger her», sagt sie. «Natürlich braucht ein Kurs Zeit und wenn man weiss, wie viele Stunden ein Bauer arbeitet, versteht man, dass er sich nicht noch für einen Erste-Hilfe-Kurs anmeldet. Der Zeitdruck wird immer höher und dann noch etwas in Nothilfe zu investieren, ist nicht jedem gegeben. Jeder hofft einfach, dass nichts passiert.»

«Es ist tatsächlich etwas passiert», sagt Sabine Waldmeier, Besitzerin einer Pferdepension in Hellikon (AG). «Ein Kind fiel vom Pferd. Äusserlich war nichts zu sehen, aber das Kind hatte Schmerzen. Wir luden es ins Auto und fuhren zum Arzt. Tatsächlich war es viel schlimmer und wir hätten den Rettungsdienst anrufen sollen. Die Lunge des Kindes kollabierte, es hatte drei gebrochene Rippen und eine ausgerenkte Schulter.» Sabine Waldmeier hatte zwar selbst schon verschiedenste Unfälle und Verletzungen, vom gebrochenen Schlüsselbein über einen offenen Schien- und Wadenbeinbruch bis zu Finger- und Zehenbrüchen. Aber dieser Vorfall mit dem Kind löste bei ihr etwas aus. Sie entschied sich, mit dem ganzen Team einen Erste-Hilfe-Kurs zu buchen. Künftig soll in solchen Notfällen genau richtig reagiert werden.

Oft gibt es einen Auslöser

Sabine Waldmeier übernahm den Betrieb vor zwei Jahren von ihrem Vater und vor drei Jahren wurde ein neuer Stall für Pensionspferde gebaut. Aktuell leben 18 Pferde auf dem Hof, drei eigene und 15 Pensionäre von anderen Besitzern. Durch einen persönlichen Kontakt wurde sie auf notfallTraining Schweiz aufmerksam und buchte einen vierstündigen Kurs bei ihr auf dem Hof. «Wir behandelten verschiedene Themen – von den Notrufnummern über die richtige Lagerung nach einem Sturz, die Stabilisation einer ausgerenkten Schulter oder die Reanimation bis hin zum allergischen Schock, epileptischen Anfällen, inneren Blutungen oder das Schienen von Brüchen. Ich hoffe, wir sind nun besser gewappnet. Was mir besonders blieb: wenn etwas passiert, darf man den Kopf nicht verlieren und muss sich immer erst selbst schützen, ruhig bleiben und alarmieren – und lieber einmal zu viel zum Arzt gehen als einmal zu wenig. Auch wenn Bauern nicht gerne zum Arzt gehen.»

«Häufig führen wir einen Kurs durch, nachdem auf einem Hof etwas passiert ist», sagt Andrea Dietschi, Geschäftsführerin von notfallTraining schweiz. «Es gibt ein Erlebnis, zum Beispiel einen Unfall, einen Herzinfarkt oder einen anderen Notfall. Das öffnet den Landwirten die Augen und sie möchten sich auf den neusten Stand bringen. Sie möchten ihr Wissen auffrischen, ihre Notfallapotheke überprüfen und erkennen, wo die Grenzen der Selbstversorgung sind und wann der Rettungsdienst gerufen oder der Arzt aufgesucht werden soll.»

Am Kurs dabei war Kathrin Schneider. «Ich fand das eine tolle Idee von Sabine», sagt sie. «Wir haben den Kurs in positiver Erinnerung und reden im Stall immer wieder darüber. Vor allem die Mischung aus Theorie und Praxis war optimal. Es wurden Notfallsituationen vorgespielt, in denen wir von uns aus reagieren und handeln mussten. So bleibt das Gelernte besser im Kopf.» Kathrin Schneider fühlt sich nun besser gewappnet für Notfälle. Bislang lief sie selbst zwar noch nie an einen Notfall und sie hofft auch, dass es nie passiert. Allerdings stürzte sie selbst schon vom Pferd und fiel in Ohnmacht. Sie wachte auf, stieg wieder aufs Pferd und ritt in den Stall zurück. Dort konnte sie nicht mehr geradeausgehen und man fuhr sie ins Spital. «Heute würde ich das anders machen», sagt sie.

Kurse in der eigenen Umgebung

Sandra Mettler würde empfehlen, Kurse möglichst direkt auf dem eigenen Hof oder einem landwirtschaftlichen Betrieb durchzuführen. «Es ist in jedem Beruf von Vorteil, wenn man die Umgebung einbeziehen kann. Man kann die individuellen Gefahren analysieren und Schritt für Schritt aufzeigen, was man in einem Notfall machen soll», sagt sie. «Dabei geht es auch immer um die eigene Sicherheit. Oft möchten Helfer die Situation verbessern, geraten dabei aber selbst in eine missliche Lage.» Natürlich reiche ein Kurs allein nicht aus. Eine Wiederholung alle zwei Jahre wäre optimal, um die Abläufe präsent zu halten. «Sobald es komplexer wird und Emotionen dazukommen, handelt man meistens nicht so rationell, wie wenn man eine Situation in Ruhe angeht. Anhand von erlebbaren Fallbeispielen könnte man jedoch die Landwirte mehr aus der Reserve locken.»

Genau das macht notfallTraining schweiz. «Es kann alles passieren», sagt Geschäftsführerin Andrea Dietschi, «von Stürzen über Tritte von Tieren und Schnittverletzungen bis hin zu schweren Unfällen mit Maschinen oder Traktoren. Hinzu kommen die ganzen medizinischen Notfälle wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Allergien. Es gibt einfach alles. Das macht es zwar schwierig, einen Kurs masszuschneidern, aber es macht es auch interessant. Wir versuchen, unsere Kurse stark an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen – nämlich dort, wo die Notfälle eintreten können. Natürlich können wir nicht alles in einen einzigen Kurs packen, sondern fokussieren uns auf ausgewählte Themen. Wir schauen uns den Hof an und fragen den Kunden, worauf er Wert legt. Besondere Notfälle können wir in einem Fortsetzungskurs besprechen und zusammen trainieren. Mithilfe unseres beliebten ‘notfallflip’, der als Nachschlagewerk dient, und den Kursunterlagen kann das Team auf dem Hof auch ohne uns zwischendurch gewisse Themen auffrischen.»

In Zusammenarbeit mit notfallTraining schweiz.

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Chefredaktor safety-security.ch / CEO bentomedia GmbH / Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität SVBS / SFJ-Award für Qualitäts-Fachjournalismus

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