Im Oktober 2015 wurden die Reanimationsrichtlinien aus dem Jahr 2010 weltweit aktualisiert. Als eine der ersten Veranstaltungen in der Schweiz überhaupt nahm die Zentraltagung der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität (SVBS) dieses Thema auf und fasste zusammen, was Betriebssanitäter darüber wissen sollten.
Von Stefan Kühnis und Helge Regener *
Es ging nach diesem 15. Oktober 2015, als die neuen Guidelines präsentiert wurden, nicht mehr lange und erste Einschätzungen waren gemacht: nicht viel passiert, nichts Neues, nur 100 bis 120 Kompressionen pro Minute oder nur fünf bis sechs Zentimeter Kompressionstiefe – das machte die Runde.
Auf den ersten Blick mag das auch zutreffen. Die technischen Änderungen für den Provider sind tatsächlich geringfügig. Bei genauerer Betrachtung aber lässt sich feststellen, dass 2015 imVergleich zu früheren Jahren zwar deutlich die wenigsten technischen Veränderungen publiziert wurden, dass sich die Art der Betrachtung aber enorm entwickelt hat. Es ging darum, Klarheit über das zu gewinnen, was wir wissen und belegen können – und ebenso um eine Vorstellung davon, zu welchen Fragestellungen rund um die Reanimation und kardiozirkulatorische Notfallsituationen wir nichts oder zu wenig wissen.
Was ist neu?
Neuerungen gibt es unter anderem deshalb so wenige, weil die Maxime nun darin besteht, nur zu ändern was zu ändern sich wissenschaftlich seriös argumentieren lässt. Gegenüber früheren Detailbetrachtungen tritt 2015 der Systemansatz deutlicher in den Vordergrund. Dabei geht es beispielsweise um die Interaktion zwischen Laie, Dispatcher, Rettungsdienst und Spital als Gesamtsystem zur Steigerung von Überlebenschancen. Es geht darum, die Elemente Erkennen, Alarmieren, BLSAED, A(C)LS und Postreanimationsversorgung systemisch zu integrieren und anzuerkennen, dass die Chancen auf Überleben nur dann relevant beeinflusst werden können, wenn die einzelnen Systemelemente ineinandergreifen. Kurz: Die Überlebenskette wird reanimiert. Trainiere das System, heisst es erstmals – und ebenfalls erstmals wird die Notwendigkeit betont, neben den klassischen Skills insbesondere auch Non-Medical-Skills zu trainieren.
Neu ist 2015 demnach nicht nur das, was sich geändert hat – eine andere Kompressionsfrequenz, ein neues Medikament, eine adaptierte Dosierung. Derartige Veränderungen technischer Details sind in den vergangenen Guideline-Auflagen weidlich realisiert worden. Neu sind 2015 insbesondere Veränderungen der Bewertung und Betonung bei distanzierterer Betrachtung. Auf der anderen Seite gibt es viel Bestätigung dafür, dass Empfehlungen aus 2010 Bestand haben können. Aber Achtung: viele 2010er-Empfehlungen wurden deshalb nicht aktualisiert, weil sie nicht Gegenstand der Betrachtung waren.
Woher kommt das Neue?
Die wichtigsten Dokumente sind in diesem Zusammenhang der ILCOR Consensus on CPR an ECC Science sowie die daraus abgeleiteten Guidelines der American Heart Association AHA und des European Resuscitation Council ERC. Diese englischsprachigen Originaldokumentationen sind umfangreich, frei zugänglich und von ausgezeichneter Qualität. Zudem sind bereits unterschiedliche offizielle Sprachvarianten publiziert worden.
Die ILCOR erstellt Handlungsempfehlungen. Diese Empfehlungen sind immer als Antworten auf die vorgängig formulierten Fragen zu verstehen. Im Kapitel Basic Life Support bei Erwachsenen wurden zu 23 PICO-Fragen hoher Priorität 32 Empfehlungen erarbeitet. PICO bezeichnet dabei den Patienten (oder das Problem), die Intervention, den Vergleich (Comparison) und das Outcome. Zur Erläuterung hier das folgende Beispiel einer PICO-Frage zu einem zentralen BLS-Thema:
„Ändert eine bestimmte Frequenz der externen Thoraxkompression (I) bei Erwachsenen und Kindern im Kreislaufstillstand jedwelcher Art (P), verglichen mit einer Kompressionsfrequenz von 100/min (C) das Überleben mit gutem neurologischem Outcome bei ROSC, Entlassung, 30 Tage (…) bzw. 180 Tage (O)?»
Auf Basis dieser Frage wurden Studien gesucht, die sich mit dieser Frage befasst haben. Deren Bewertung kommt zu folgendem Ergebnis:
«Verglichen mit einer Kompressionsfrequenz von 100 bis 119/min ergab sich eine Reduktion der Spitalentlassungsquote um 4% bei einer Frequenz von 140/min, eine Reduktion um 2% bei einer Frequenz von 120 bis 139/min, eine um 1% bei unter 80/min und um 2% bei 80 bis 99/min.»
Daraus leitete die Task Force folgendeHandlungsempfehlung (Treatment Recommendation) ab:
«Wir empfehlen eine manuelle Thoraxkompressionsfrequenz von 100 bis 120/min (strong recommendation, very-low quality evidence).»
Die ILCOR hat eine Liste aller 165 Fragestellungen publiziert, während die AHA zudem eine Übersicht aller Empfehlungen aus den Guidelines 2010 und 2015 erstellt hat – eine durchaus lohnende Lektüre.
Eine Überraschung hat uns die ILCOR zum Schluss gleichwohl noch eröffnet: Es wird im Sinne des GL-Updates kein 2020 geben. Das heisst, dass Aktualisierungen inskünftig immer dann erfolgen, wenn die Erkenntnisse ausreichend stark sind. Wir wollen sehen, wie das umgesetzt wird.
Die SRC-Kursrichtlinien
Die Kursrichtlinien des SRC wurden gegenüber 2010 gestrafft und vereinfacht. Grundsätzlich anerkennt der SRC Kursinhalte, die sich auf den ILCOR CoSTR beziehen. Die drei Kursformate BLSAED-SRC-Kompakt, BLS-AED-SRCKomplett, BLS-AED-SRC-Instruktor werden beibehalten, wobei die Unterscheidung zwischen komplett und kompakt geschärft wurde, Kinderreanimation wird nun einheitlich auf Stufe BLS-AED-SRC-Komplett integriert. Beim Kursformat BLS-AED-SRC Kompakt steht die effektive Vermittlung der Basismassnahmen der Wiederbelebung, mit möglichst geringen Zugangshürden im Vordergrund. Kompaktkurse fokussieren auf den Kompetenzerwerb einer korrekten Alarmierung, eines wirksamen Selbstschutzes sowie auf die korrekte Erstbeurteilung und die Anwendung von Grundfertigkeiten Herzdruckmassage, Beatmung und Defibrillation mittels AED beim Erwachsenen.
Das Format BLS-AED-SRC-Komplett hat eine optimale Vertiefung und Anwendung von BLS-AED-Fertigkeiten beim Herzkreislaufstillstand bei Erwachsenen und Kindern in unterschiedlichen Situationen zum Ziel. Dieser Kurs richtet sich an alle Personen, die berufsbedingt sichere BLS-Kompetenzen nachweisen müssen, wie Gesundheitsfachpersonen oder Firstresponder mit einem Versorgungsauftrag (Feuerwehrangehörige, Polizisten, Betriebssanitätspersonal, Bademeister, Samariter im Postendienst und viele mehr).
SVBS-Mitglieder in der Pole-Position
Die Schweizerische Vereinigung für Betriebssanität (SVBS) führte rund 30 Tage nach dem Erscheinen der neuen Guidelines in Zürich ihre biennale Zentraltagung durch. Als eine der ersten Veranstaltungen in der Schweiz machte sie die Änderungen ihren Mitgliedern in einer zusammengefassten und praxisbezogenen Aufarbeitung zugänglich. Rund 40 Teilnehmende erfuhren von Helge Regener (Geschäftsführer Sirmed) die wichtigsten Punkte, konnten ihre offenen Fragen kompetent beantworten lassen und lernten in einem weiteren Referat von PD Dr. med. Christophe Wyss (Herzklinik Hirslanden) eine Menge über die Prävention und über Massnahmen rund um das akute Korronarsyndrom.
Literatur und Links
www.americanheart.com (und .org), American Heart Association AHA
www.erc.edu, European Resuscitation Council ERC
www.resuscitation.ch, Swiss Resuscitation Council
* Helge Regener, Geschäftsführer des Schweizerischen Instituts für Rettungsmedizin (SIRMED).