Freitag, 20. September 2024
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Auch wenn sich die Sicherheitslage in Südamerika in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, sind Korruption und organisierte Kriminalität (OK) immer noch weit verbreitet. Auch wenn Touristen nur äusserst selten von Schutzgeldforderungen betroffen sind, können diese Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zum Verhängnis werden.

Autorin: Inga Faust

Warum müssen manche Organisationen ihre Projekte in bestimmten Regionen einstellen, während andere friedlich weiterarbeiten? Warum zahlen einige Organisationen hohe Summen an Kontrollpunkten, während andere einfach durchgewunken werden? Und was kann ein Tourist oder Geschäftsreisender daraus lernen?

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Im Folgenden werden einige bewährte Verfahren vorgestellt, mit denen Unternehmen das Risiko von Schutzgeldforderungen minimieren und die Sicherheit ihrer Mitarbeiter gewährleisten können.

Auf Gewalt folgt Gewalt

Welches Bild kommt einem in den Sinn, wenn man an Südamerika denkt? Kartellkriege. Koka-Plantagen. Auftragskiller. Gewalt. Waffen. Drogen. Schmiergelder.

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Gegen Gedanken und damit teilweise Vorurteile anzukämpfen ist schwierig. Doch in den letzten Jahren haben sich die Dinge geändert, da die Regierungen aktiv geworden sind und der Fokus zum Beispiel auf Bildung und Unterstützung für Jugendliche gelegt wurde, um sie von der Strasse zu holen: So ist der damals hart umkämpfte Stadtteil «Comuna 13» in Medellín, Kolumbien, heute ein Szeneviertel, in dem sich Kunststudios, Restaurants und Tanzschulen niedergelassen haben. Aus ehemaligen Drogendealern sind Bierbrauer mit eigener Bar oder Stadtführer für Touristen geworden.

Auch in den Favelas von Rio de Janeiro ist es heute weitgehend ruhig geworden. Statt harter Drogen wird jetzt Eiscreme an Touristen verkauft. Trotz Berichten über Verhaftungen von bekannten Kartellmitgliedern sind die Narcos (umgangssprachlicher Ausdruck für Drogenhändler) noch lange nicht verschwunden. Auch wenn ein aufmerksamer Tourist in südamerikanischen Städten nicht unbedingt weniger sicher ist als in Europa oder Nordamerika, erinnern mit Granaten und Gewehren bewaffnete Latinos in den Strassen der Favelas und Comunas doch an die Existenz und den Einfluss der Drogenkartelle.

In den 1990er und 2000er Jahren hat die Polizei ihren Kampf gegen die Drogenkriminalität intensiviert. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen kennen wir oft nur aus dem Fernsehen, wie zum Beispiel die spektakuläre Verfolgungsjagd von Pablo Escobar über die Dächer von Medellín.

Neuer Frieden zwischen Staat und Kartellen macht vieles möglich

Um diesen recht frischen Frieden zwischen Staat und Kartellen aufrechtzuerhalten, zahlen die Einwohner einiger Gemeinden Steuern an den Staat und an das Kartell. Wie funktioniert das?

Die Drogendealer beobachten die Bewohner oder lassen sie beobachten. Dadurch wissen sie ähnlich viel wie die Steuerbehörden: Sie wissen, welcher Tätigkeit eine Person nachgeht, schätzen ab, was sie damit verdienen kann, und verlangen dementsprechend Steuern, zum Beispiel drei Prozent Einkommenssteuer, wie es beispielsweise in Comuna 13 praktiziert wird. Dieses Vorgehen wird von der Regierung geduldet, weil es «Frieden» für die Bevölkerung bedeutet. Die Drogenkartelle haben sich in den letzten Jahrzehnten – denen langwierige Antidrogenkriege vorausgingen – so etablieren können, dass es kaum noch möglich ist, ihnen vollständig Einhalt zu gebieten. Der zunehmende Absatz von Kokain in den USA und Europa macht es den Regierungen auch nicht leichter, so dass diese gemeinsame, wenn auch nicht offizielle, Vereinbarung gefunden wurde.

Andere Länder, andere Sitten

Für uns Europäer erscheint es seltsam, Schutzgelder an Kriminelle zu zahlen, aber in Kolumbien ist dies der Preis, den die Bevölkerung durchaus bereit ist, für den Frieden zu zahlen.

Auch in anderen Ländern, in denen es weitgehend friedlich zugeht, ist Korruption üblich. In Paraguay zum Beispiel kommt es regelmässig vor, dass Autofahrer angehalten werden und die Polizisten Geld für angebliche Verkehrsverstösse verlangen, natürlich in bar und ohne Quittung. Vor allem vor Feiertagen. Bei einem geringen Monatsgehalt von umgerechnet etwa 300 Euro ist Korruption leider besonders in Branchen, die mit Menschen zu tun haben, häufig anzutreffen. Denn nur so kommt man über die Runden und kann den Lebensunterhalt finanzieren.

Nicht nur für Privatreisende, sondern auch für Unternehmen und NGOs sowie deren Mitarbeitende können Korruption und Schutzgeldforderungen zum Problem werden. Während für Touristen solche Begegnungen meist ärgerlich und in einigen Fällen sogar beängstigend sind, können sie für Organisationen das Ende eines Projektes bedeuten oder sogar die Mitarbeiter zur Ausreise zwingen. Genau an diesem Punkt geraten sie in ein Dilemma: Werden die Forderungen bezahlt und damit Kriminelle unterstützt, wird zum einen das Budget gekürzt und sie geraten möglicherweise in moralische Schwierigkeiten. Wird das Schutzgeld nicht gezahlt, kann dies zur Beendigung des Projekts führen, zum Beispiel durch Gewalt, Einschüchterung oder willkürliche Inhaftierung.

Im Zusammenhang mit illegalen Zahlungen und Machtmissbrauch muss zwischen Schutzgeldern und Korruption im Allgemeinen und der Forderung nach Schmiergeldzahlungen unterschieden werden, die nicht immer eindeutig zu trennen sind.

Laut Wörterbuch ist Schutzgeld «eine regelmässige Zahlung, die durch Androhung von Gewalt erpresst wird». In der Praxis lässt sich diese Definition jedoch nicht ganz so eindeutig anwenden. Die Drohungen und Forderungen sind in der Regel viel subtiler, als es diese Definition vermuten liesse. Schutzgeld wird zum Beispiel häufig als «Maut» an (illegalen) Kontrollpunkten oder als «Bezahlung» für eine angebliche Dienstleistung verlangt. Zur «Gewalt» kommt es erst, wenn die Zahlung nicht erfolgt.

Bestechung (umgangssprachlich auch Schmiergeld genannt) ist eine Form der Korruption und bezeichnet das «Gewähren und Versprechen oder Fordern von Geschenken oder Vorteilen für bestimmte Zwecke», die fast ausschliesslich von Amtsträgern ausgeübt werden.

Die Risiken von Schutzgeldforderungen

Die staatlichen Behörden haben ein Recht darauf zu erfahren, wer sich zu welchem Zweck im Land aufhält (Tourist, Geschäftsreisender, Expat, Investor, Unternehmen, NRO usw.). Aber auch diese Informationen landen oft in den Händen krimineller Banden, die dann versuchen, daraus Profit zu schlagen, oder die das Gebiet (mit staatlicher Genehmigung) ohnehin «kontrollieren».

Die Auswirkungen von nicht gezahlten Schutzgeldern (vor allem, wenn die Routen häufig befahren werden müssen) können direkt wirksam sein, zum Beispiel

  • in Form einer Behinderung der Weiterreise,
  • der Wegnahme von Wertgegenständen oder
  • auch durch die Androhung oder Ausübung von körperlicher Gewalt.

Auch längeres Festhalten oder die Beschädigung von Fahrzeugen oder Gepäck können die Folgen sein.

Korrupte Beamte können Forderungen nach Schutzgeld beispielsweise als «Strafe» für angebliches Fehlverhalten tarnen. Leider ist es in der Praxis oft schwierig, den «echten» Polizeibeamten zu erkennen. Es ist daher weder ratsam, einen offiziellen Kontrollpunkt zu durchbrechen, noch Kriminellen Geld und Informationen zu geben. Daher sollten auch im Ausland tätige Organisationen sich und ihre Mitarbeiter auf solche Ereignisse angemessen vorbereiten.

Vorbeugen ist besser als reagieren

Wenn man als Ausländer nicht mit der Sprache, den Sitten und den Regeln eines Landes vertraut ist, ist es schwierig zu unterscheiden, wer für und wer gegen einen arbeitet. Daher sollten Strategien zur Minderung des Risikos von Schutzgeldforderungen proaktiv und so früh wie möglich entwickelt werden.

Informationen, Netzwerke, Beziehungen und ein effektives Sicherheitsmanagement sind das A und O. Oberster Grundsatz ist, dass die Kultur des Landes respektiert werden muss und sich dies auch in den entsprechenden Verfahren und Richtlinien widerspiegeln sollte.

Die folgenden Massnahmen können wirksam sein, bevor die Forderung nach Schutzgeld überhaupt entsteht:

  • Beziehungen zu Behörden und Gemeinden: zum Beispiel durch ausländische Vertretungen, lokale Behörden, andere lokale europäische Organisationen zum Austausch von Erfahrungen, Einschätzungen und bewährten Verfahren. Nicht zu vernachlässigen ist die Kontaktaufnahme mit der lokalen Bevölkerung, beispielsweise über Kirchen und dergleichen.
  • Dies sollte nicht ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Regierung eines Landes geschehen – natürlich unter Beachtung der lokalen Anforderungen.
  • Die wichtigsten Akteure im Land sollten ermittelt werden (Polizeichef, Militärführer, Nichtregierungsgruppen usw.).
  • Es sollte Personal eingestellt werden, das mit dem Land und seiner Sprache vertraut ist, das vertrauenswürdig ist und mit den Akteuren in Kontakt bleibt.
  • Je mehr Informationen man erhält, desto besser kann ein Projekt/Aufenthalt vorbereitet werden.
  • Ausserdem sollten Gebiete vermieden werden, in denen die Regierung keine Kontrolle ausübt.
  • Nach der Informationsbeschaffung, der Vernetzung und den Vorbereitungen, einschliesslich Reisesicherheits- und Notfallmassnahmen, müssen die vor Ort tätigen Mitarbeiter gebrieft und individuell geschult werden, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Hierfür eignet sich das so genannte HEAT-Training (Hostile Environment Awareness Training).

Trainingsinhalte von Heat-Trainings für Länder mit hohem Gewaltaufkommen oder Reisen in Krisengebiete:

  • Risikosensibilisierung
  • Schadensbegrenzung und Schutzausrüstung
  • Erkennen der Situation und Abgrenzung zu anderen Straftaten
  • Gesprächsführung und Ruhe bewahren
  • Verhalten an (illegalen) Kontrollpunkten
  • Verhör und Vernehmungssituation
  • Mobile Sicherheit und Verhalten im Strassenverkehr
  • Informationssicherheit und -beschaffung
  • Stressmanagement

Der Erfolg der Arbeit eines Unternehmens oder einer NGO basiert auf dem Vertrauen der Bevölkerung, um das Risiko von Schutzansprüchen zu minimieren.

Und wenn es doch zu Ereignissen kommt (reaktive Massnahmen)

Es gibt kein Konzept, das die Inanspruchnahme von Schutzgeldern zu 100 Prozent ausschliessen kann. Deshalb ist es unerlässlich, Handlungsempfehlungen für die Betroffenen zu erarbeiten, denn ein ruhiges und besonnenes Verhalten in Ereignissituationen ist unerlässlich, um die Situation bestmöglich zu bewältigen.

Im Zweifelsfall sollte der ausgehandelte Preis gezahlt werden, denn die eigene Integrität ist wichtiger als Geld. Nach einem geordneten Rückzug aus der Situation sollte ein neuer Plan entwickelt und die genannten Punkte erneut durchgespielt werden. Nur wenn sich die Mitarbeiter vor Ort sicher fühlen, können sie sich voll und ganz ihrer Arbeit widmen.

Die Autorin:

Inga Faust

Security Risk Manager bei FOXPEDITION medial & protectionTM, einem Anbieter von Sicherheitskonzepten für NGOs, Medienschaffende und Expeditionen – Buchung von Sicherheitsmanagement, Risikoanalyse und HEAT-Trainings über FOXPEDITION.

 

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