Am 21. Dezember 1945 gab das SLF sein erstes Lawinenbulletin heraus. Seither hat sich die Prognose der Lawinengefahr bedeutend weiterentwickelt. Doch trotz aller technischer Fortschritte sind auch heute noch Fachwissen und die Einschätzung von Experten gefragt.
«Das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung Weissfluhjoch/Davos teilt mit»: Viele kennen diesen Satz noch aus dem Radio. Auch über Zeitungen, TV und Telefon und heute vor allem über das Internet und die App White Risk wurde das Lawinenbulletin verbreitet, die bekannteste Dienstleistung des SLF. Das Lawinenbulletin ist die älteste Naturgefahrenwarnung der Schweiz und ein gesetzlicher Auftrag, den das SLF seit nun 75 Jahren erfüllt. Am 21. Dezember 1945 erschien die erste Ausgabe des Lawinenbulletins, welches unter anderem die Neue Zürcher Zeitung abdruckte.
Ihre Anfänge hatte die Lawinenwarnung in der Schweiz vor dem zweiten Weltkrieg. Der Schweizerische Skiverband (SSV) begann in den 1930er Jahren, jeweils zum Wochenende eine Beschreibung der Lawinengefahr für Skifahrer herauszugeben. Während des Krieges baute zudem die Armee einen Warndienst für die Truppe auf. Dies geschah bereits in Zusammenarbeit mit der 1931 gegründeten Schnee- und Lawinenkommission, aus der 1942 das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung wurde (heute WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF). Dieses übernahm nach Kriegsende die Verantwortung für die Lawinenwarnung und baute seinen zivilen Warndienst auf.
Beobachter und automatische Messstationen liefern Daten zu Lawinen
Der Warndienst hat in den letzten 75 Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht. Anfänglich beruhte die Einschätzung der Lawinengefahr auf den Beobachtungen einer Handvoll Forscher auf dem Weissfluhjoch sowie von etwa 20 Beobachtern in den Schweizer Alpen. Bis heute wurde das Beobachternetz auf fast 200 Personen ausgebaut, es entstand zudem ein Netz von automatischen Wetter- und Schneemessstationen.
«Wir haben heute eine riesige Datenmenge zur Verfügung», sagt Thomas Stucki, Leiter der Lawinenwarnung am SLF. Alle Informationen werden von den acht Lawinenwarnerinnen und -warnern, die jeweils zu dritt im Turnus arbeiten, analysiert und ausgewertet und zur Prognose für den nächsten Tag verarbeitet. Seit rund 20 Jahren hat das Bundesamt für Umwelt die Weiterentwicklung der Lawinenwarnung finanziell unterstützt. Nur so war es möglich im Winter zweimal täglich ein Lawinenbulletin zu veröffentlichen, in dem die Lawinengefahr regional differenziert wird. Ab Januar 2021 läuft die volle Finanzierung über den ETH-Bereich.
Bessere Lawinen-Prognosen dank präziser Wettermodelle
Neben einem verbesserten Verständnis der Prozesse, die zu einer Lawine führen, sind eine wichtige Basis auch die immer präziseren Wettermodelle von MeteoSchweiz, welche die Genauigkeit der Lawinenprognose stark verbessert haben. So lässt sich zum Beispiel die Neuschneemenge viel exakter vorhersagen, die einen grossen Einfluss auf die Lawinengefahr hat. «Obwohl heute wesentlich mehr Skitourengänger, Variantenfahrerinnen und Schneeschuhläufer im freien Gelände unterwegs sind als vor 30 Jahren, hat die jährliche Zahl der Lawinenopfer über diese Zeit nicht zu-, sondern tendenziell abgenommen», sagt Stucki. Dies sei zurückzuführen auf eine bessere Ausbildung, Ausrüstung und letztlich wohl auch die Lawinenwarnung und ihre Produkte.
Eine Weiterentwicklung der Prognosen ist in den nächsten Jahren durch maschinelle Lernverfahren zu erwarten, welche die grossen Datenmengen analysieren und bewerten können. Den Menschen werden diese aber nicht ganz ersetzen können, ist Stucki überzeugt. Vor allem deshalb, weil die Daten das komplexe System nicht vollständig abbilden können, weshalb für die Interpretation nach wie vor menschliches Knowhow und Erfahrung erforderlich sein werden. Das Expertenwissen der Lawinenwarnerinnen und -warner bleibt also auch in Zukunft unersetzlich.
Links:
Geschichte des Lawinenbulletins
Wie entsteht das Lawinenbulletin
Augen und Ohren der Lawinenwarnung – Die SLF-Beobachterinnen und -Beobachter
Drei Lawinenwarnerinnen und Lawinenwarner des SLF erzählen
Facts and Figures Lawinenbulletin
- 75 Jahre Lawinenbulletin: Am 21. Dezember 1945 veröffentlichte das damalige Eidg. Institut für Schnee- und Lawinenforschung, Weissfluhjoch-Davos, das erste Lawinenbulletin.
- 2 Mal täglich: In der Hauptsaison von ca. Anfang/Mitte Dezember bis ca. Ende April erscheint das Lawinenbulletin zweimal täglich, in den Winterrandmonaten einmal täglich, sonst nach Bedarf.
- 4 Sprachen: Das Lawinenbulletin erscheint auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.
- 1 Billion mögliche Sätze: Das Lawinenbulletin wird aus vordefinierten Satzbausteinen erstellt. Da diese bereits in allen Sprachen vorliegen, können die Übersetzungen pratkisch verzögerungsfrei erstellt werden. Der Text «Schneedecke und Wetter» wird durch ein Übersetzungsbüro übersetzt.
- 5 Gefahrenstufen: Die Einschätzung der Lawinengefahr erfolgt heute europaweit einheitlich aufgurnd der europäischen Lawinengefahrenskala in den fünf Stufen gering, mässig, erheblich, gross und sehr gross. Die Gefahrenstufe berücksichtig die Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen, die Verbreitung der Gefahrenstellen und die erwartete Lawinengrösse.
- 8 Lawinenprognostikerinnen und Lawinenprognostiker: Das Lawinenbulletin entsteht nicht auf Knopfdruck, sondern in Teamarbeit. Jeweils drei der insgesamt acht Prognostikerinnen und Prognostiker erstellen im Turnus das Bulletin. Sie werden von 2 Praktikantinnen unterstützt.
- 149 Warnregionen: Die im Durchschnitt etwa 100 Quadratkilometer grossen Warnregionen bilden die kleinsten Einheiten der Warnung. Sie werden bei der Gefahreneinschätzung in der Regel zu grösseren Gefahrengebieten zusammengefasst. Dieselben Warnregionen werden auch von den anderen Naturgefahrenfachstellen des Bundes verwendet.
- 206 Beobacherinnen und Beobachter: Für ein zuverlässiges Lawinenbulletin braucht es aktuelle Informationen aus dem Gelände. Dazu unterhält das SLF ein eigenes Netz von etwa über 200 Beobachterinnen und Beobachtern.
- 107 manuelle Messfelder: Ein Teil der Beobachterinnen und Beobachter machen nebst den Beobachtungen auch Messungen auf einem festen Messfeld z.B. von Schneehöhe und Neuschneemenge.
- 193 automatische Messstationen: Die automatischen Messstationen liefern rund um die Uhr wichtige Daten auch aus höheren und abgelegeneren Gebieten.
- 93’000 Messwerte von automatischen Stationen/Tag: Alle Messwerte werden in der Datenbank des SLF gespeichert und stehen so für die tägliche Situationsanalyse und später für die Forschung zur Verfügung.
- 206 Lawinenbulletins/Jahr: Im hydrologischen Jahr 2019/2020 (1.10.2019 – 30.9.2020) hat das SLF 206 Lawinenbulletins veröffentlicht (im Vorjahr 2018/2019: 209 Lawinenbulletins).
- 5 Leiter: Seit 1945 wurde der SLF-Lawinenwarndienst von Melchior Schild (1945-1982), Paul Föhn (1982-1993), Roland Meister (1993-1997), Tom Russi (1997-1999) und Thomas Stucki (seit 1999) geleitet.
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