Aus Schaden wird man klug – so das gängige Sprichwort. Dumm nur, wenn die Konsequenzen so gravierend sind, dass sie ein Lernen aus den Erfahrungen vorwegnehmen. Anstatt sich im Nachhinein über Versicherungsfragen zu streiten, sorgt man besser proaktiv für einen wirksamen Gebäudeschutz. Für den Betrieb von Gebäuden verantwortliche Personen und FM-Dienstleister nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein.
Autoren: Simon Ashworth und Benno Staub
Die Gebäudehülle ist gegen Unwetter stark exponiert und benötigt besonderen Schutz. Bereits heute sind Hagel, Sturm und Starkregen für gut drei Viertel aller Gebäudeschäden verantwortlich und können überall und jederzeit auftreten. Die fortschreitende Klimaerwärmung wird noch mehr Wetterextreme bringen, insbesondere Stürme und Niederschläge könnten heftiger ausfallen. Umso wichtiger ist ein wirkungsvoller Gebäudeschutz. Eine auf Naturgefahren angepasste Bauweise erhöht die Sicherheit für das Gebäude und dessen Benutzer. Ausserdem können die Betriebskosten gesenkt und die Lebensdauer von Bauteilen verlängert werden – gute Gründe, bei jedem Neu- und Umbau frühzeitig an Naturgefahren zu denken. Auch Wartung und Unterhalt sowie das richtige Verhalten im Ereignisfall tragen zur Minimierung des Risikos bei.
Viele Gebäude sind durch Überschwemmungen gefährdet
Wenige Zentimeter Wasser an einer kritischen Stelle genügen, um ganze Untergeschosse zu fluten. Besonders gefährlich wird es, wenn Wasser über Fluchtwege in Untergeschosse gelangt oder technische Einrichtungen trifft. Ein Drittel bis zur Hälfte Überschwemmungsschäden an Gebäuden sind übrigens nicht auf ausufernde Fliessgewässer und Seen, sondern auf Oberflächenabfluss zurückzuführen – eine bis heute unterschätzte Naturgefahr, die bei starkem Regen lokal heftige Überschwemmungen verursachen kann. Deshalb lohnt sich in Ergänzung zu den kantonalen Gefahrenkarten (www.bafu.admin.ch/gefahrenkarten) ein Blick auf die neue Gefährdungskarte Oberflächenabfluss (www.bafu.admin.ch/oberflaechenabfluss). Sie zeigt mögliche Fliesswege auf und gibt einen ersten Überblick zu den Überschwemmungshöhen. Beinahe zwei Drittel aller Gebäude in der Schweiz sind potenziell von Oberflächenabfluss betroffen. Typische Gefährdungsbilder sind der Zufluss vom Hang, von der Strasse sowie die Überflutung in Geländemulden.
In der dicht bebauten Schweiz – mit immer intensiver genutzten Erd- und Untergeschossen – müssen der bewusste Umgang mit Naturgefahren und eine entsprechend angepasste Bauweise zur Selbstverständlichkeit werden. Die konzeptionellen und konstruktiven Lösungen hierzu sind vorhanden und erprobt, werden aber noch zu wenig beachtet.
Planungshilfen für einen wirksamen und effizienten Gebäudeschutz
Das naturgefahrengerechte Bauen ist die logische Antwort auf die steigenden Schadenzahlen. Die Plattform schutz-vor-naturgefahren.ch vernetzt sämtliche Grundlagen und Planungshilfen rund um den Gebäudeschutz vor Naturgefahren. Wichtige neue Fachgrundlagen sind zudem die Dokumentation SIA D0260 «Entwerfen & Planen mit Naturgefahren im Hochbau» sowie die Wegleitung SIA 4002 «Hochwasser – Wegleitung zur Anwendung der SIA 261/1». Beide Dokumente stützen sich auf der im Jahr 2020 erscheinenden Neuauflage der Tragwerksnorm SIA 261/1 ab und sind eng mit schutz-vor-naturgefahren.ch verknüpft.
Wer bei einem Neubau frühzeitig an mögliche Risiken denkt, erreicht einen wirksamen Schutz ohne Mehrkosten. Zum Schutz vor Überflutung sind robuste Lösungen gesucht, die ein Aufstauen am Gebäude respektive den Wassereintritt verhindern. Eine bei Neubauten ausgesprochen elegante und kostengünstige Massnahme ist die Anhebung von Erdgeschoss und Gebäudeöffnungen über die maximal zu erwartende Wasserhöhe. Auch die Umgebungsgestaltung hat viel Potential, um den Wasserabfluss vom Gebäude weg zu lenken. Grundeigentümer sind dabei gemäss ZGB Art. 689 zur Aufnahme des natürlicherweise abfliessenden Wassers verpflichtet und dürfen diesen nicht zum Schaden der Nachbarn verändern. Generell sollten Schutzmassnahmen zur Abschirmung, Umlenkung oder Abdichtung permanent installiert sein und ohne menschliches Zutun zuverlässig funktionieren, da beispielsweise bei einem Gewitter keine ausreichende Vorwarnzeit gegeben ist. Ein baulicher Hochwasserschutz ist nicht nur wirksamer, sondern auf lange Sicht meist auch günstiger als temporäre Vorkehrungen wie zum Beispiel Dammbalken – der Aufwand zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Notfallorganisation mit Wartung und Unterhalt sowie regelmässigen Übungen wird gerne unterschätzt.
Risikooptimierte Planung und Lebenszyklusbetrachtung als Chance
Die zunehmende Interdisziplinarität und die Digitalisierung verändern die Herangehensweise an Bauprojekte und bieten somit auch für den Gebäudeschutz neue Chancen: Mit Building Information Modeling (BIM) stehen einerseits neue technologische Hilfsmittel zur Verfügung, andererseits werden neue Organisationsformen und Prozesse die Projektabwicklung grundlegend verändern. In Bezug auf den Umgang mit Naturgefahren sind risikooptimierte Planungsansätze gefordert, die das Gebäude möglichst spezifisch für die jeweilige Situation und mit Blick auf dessen Betriebsphase wirksam vor relevanten Risiken schützen. Der Gebäudeschutz ist dabei auch im Kontext des klimakompatiblen Bauens zu sehen, wobei beispielsweise Regenwasser zugleich eine wichtige Ressource wie auch eine potenzielle Gefahr darstellt. Risikoüberlegungen und die frühe Erkennung und Lösung von Zielkonflikten sind zentrale Elemente der Lebenszyklusbetrachtung und möglichst resiliente, an veränderte Rahmenbedingungen anpassbare Gebäude das grosse Ziel. Risiken wiederum müssen erkannt, analysiert und bewertet werden, möglichst in Form eines Dialogs mit allen potentiell betroffenen Akteuren. Wird ein solcher Risikodialog im interdisziplinären Planungsteam gemeinsam mit der Bauherrschaft und den späteren Betreibern und Nutzern des Gebäudes geführt, lassen sich für ein Bauprojekt Schutzanforderungen mit konkreten Planungszielen ableiten und jene verbleibenden Risiken eingrenzen, die alle Betroffenen zu tragen bereit sind. Es wäre daher wünschenswert, wenn mehr FM-Spezialisten bereits in der Planungsphase beigezogen würden. Sie können dazu beitragen, dass Gebäude für einen effizienten und sicheren Betrieb optimiert werden.
Welche Informationen braucht es für den Betrieb?
Wie der Gebäudeschutz vor Naturgefahren mithilfe der BIM-Methode optimiert werden könnte, wird derzeit in einem Forschungsprojekt der Präventionsstiftung der Kantonalen Gebäudeversicherungen untersucht (www.vkg.ch/de/naturgefahren/projekte/?tab=bim). Hauptpartner und Leiter des Projekts ist das Institut Digitales Bauen der FHNW. Das Institut für Life Sciences und Facility Management der ZHAW deckt den Fachbereich Facility Management ab. Weiter beteiligt sind die Hochschule für Technik und Architektur Freiburg sowie Experten aus der Privatwirtschaft. In diesem Forschungsprojekt werden unter anderem auf folgende Fragen praxistaugliche Antworten gesucht: Wie funktioniert eine risikooptimierte Planung unter Anwendung der BIM-Methode? Welche technischen Hilfsmittel können das naturgefahrengerechte Bauen unterstützen? Mit welchen Informationen, Prozessen und Massnahmen kann die Sicherheit im Betrieb laufend optimiert werden? Erste Studienarbeiten zu diesen Fragen laufen an der ZHAW und werden demnächst weitere Erkenntnisse bringen zum Umgang mit Naturgefahren aus der Perspektive der Gebäudebetreiber.
Hagelsichere Gebäude – dank guter Konzeption und intelligenten Storen
Hagelschäden an Gebäuden haben in den letzten 30 Jahren stark zugenommen und sind bei den Kantonalen Gebäudeversicherungen derzeit der grösste Kostentreiber. Dabei wäre es ganz einfach, Gebäude hagelsicher zu bauen. Als Faustregel gilt für die Schweiz: Ein Gebäude muss mindestens 3 cm grosse Hagelkörner schadlos aushalten – und folglich aus entsprechend widerstandsfähigen Materialien gebaut sein. In Ergänzung zu naturgemäss robusten Baustoffen wie Sichtbeton oder genügend starkem Glas (moderne Fensterscheiben halten wesentlich grössere Hagelkörner aus) gibt es heute eine Vielzahl hagelgeprüfter Produkte für die ganze Gebäudehülle. Diese Produktinformationen sind im Online-Tool hagelregister.ch einfach und gratis einsehbar.
Enormes Potential steckt im Schutz von Roll- und Raffstoren: Diese konstruktionsbedingt äusserst verletzlicheren Bauteile müssen bei Gewitter hochgezogen werden. Hierzu eignet sich das kostenlose Warnsystem „Hagelschutz – einfach automatisch“ (www.vkg.ch/hagelschutz), wodurch die Gebäudesteuerung auf ein ausgeklügeltes Hagelwarnsignal zugreifen und bei Gefahr automatisch sämtliche Storen aus dem Gefahrenbereich bringen kann. Dieses Beispiel zeigt das Potential der vernetzten Gebäudetechnik für die Prävention – und dass auch Umbauten wie z. B. eine Sanierung von Dach- oder Fassade eine ideale Gelegenheit sind, um Gebäude sicherer zu machen.
Benno Staub
Fachperson Elementarschaden-Prävention, Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen VKF
ZHAW Life Sciences und Facility Management