Donnerstag, 19. September 2024
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Immer mehr Menschen sind in Ihrer Berufswelt von Alleinarbeit betroffen. So hat in jüngster Zeit beispielsweise die Arbeit im Homeoffice massiv zugenommen und eine beträchtliche Anzahl von Arbeitnehmenden wird voraussichtlich auch zukünftig das eigene Zuhause als Arbeitsplatz nutzen. Diese eher neue Arbeitssituation kann unter bestimmten Umständen Risiken bergen, welche es abzuklären gilt.

Autor: Michel Rohrer

Die Verantwortlichkeit der Arbeitgebenden umfasst alle arbeitsbezogenen Faktoren, die sich auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden auswirken. Arbeitgebende sind deshalb verpflichtet, für den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden zu sorgen und entsprechende Massnahmen umzusetzen, wenn Arbeitnehmende allein im Homeoffice arbeiten.

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Artikel 6 Absätze 1 – 2 ArG (Arbeitsgesetz)

¹ Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmer alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Er hat im Weiteren die erforderlichen Massnahmen zum Schutze der persönlichen Integrität der Arbeitnehmenden vorzusehen.

² Der Arbeitgeber hat insbesondere die betrieblichen Einrichtungen und den Arbeitsablauf so zu gestalten, dass Gesundheitsgefährdungen und Überbeanspruchungen der Arbeitnehmer nach Möglichkeit vermieden werden.

Eine Person gilt als allein arbeitend, wenn ihr nach einem Unfall oder in einer kritischen Situation (plötzliches Unbehagen) nicht sofort Hilfe geleistet werden kann. Allein Arbeitende sind daher besonders gefährdet, weshalb die spezifische Gefahrensituation vom Arbeitgeber jeweils überprüft und bewertet werden muss.

Das Gesetz und insbesondere die Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV) enthalten zwar keine generelle Regelung für allein arbeitende Personen. Artikel 8 VUV befasst sich jedoch mit «Vorkehren bei Arbeiten mit besonderen Gefahren» und hält diesbezüglich im Absatz 1, 2. Satz folgendes fest:

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«Wird eine gefährliche Arbeit von einem Arbeitnehmer allein ausgeführt, so muss ihn der Arbeitgeber überwachen lassen.»

Es bedarf also zunächst einer Gefährdungsbeurteilung.

Gefährdungsbeurteilung

Zur Beurteilung von Alleinarbeit können folgende Hilfsmittel verwendet werden:

In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Beurteilungsmatrix im vorgenannten Suva-Merkblatt hingewiesen. Auf Seite 25 findet sich gar in Bezug auf einen «Büromitarbeiter» eine Musterbewertung mit folgendem Ergebnis:

Schadens-Wahrscheinlichkeit: D unwahrscheinlich

Schadens-Ausmass: V gering

Fazit: Die Alleinarbeit ist erlaubt

Gemäss Gefährdungsbeurteilung ist demnach Alleinarbeit erlaubt. Das heisst: die allein arbeitende Person muss nicht überwacht werden, da angenommen werden kann, dass sie bei einer Verletzung oder in einer kritischen Situation genügend mobil und handlungsfähig bleibt, um entsprechend dem betrieblichen Notfallkonzept selber sofortige Hilfe herbeizurufen (Quelle: Seite 15 Suva-Merkblatt mit der Best.-Nr. 44094).

Doch damit nicht genug, nebst der Gefährdungsbeurteilung sind weitere Anforderungen zu erfüllen und zwar sowohl an den Einzelarbeitsplatz als auch an die allein arbeitende Person.

Artikel 2 Absatz 1 Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3)

¹ Der Arbeitgeber muss alle Anordnungen erteilen und alle Massnahmen treffen, die nötig sind, um den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit zu wahren und zu verbessern. Insbesondere muss er dafür sorgen, dass:

  1. ergonomisch und hygienisch gute Arbeitsbedingungen herrschen;

  2. die Gesundheit nicht durch physikalische, chemische und biologische Einflüsse beeinträchtigt wird;

  3. eine übermässig starke oder allzu einseitige Beanspruchung vermieden wird;

  4. die Arbeit geeignet organisiert wird.

Anforderungen an Einzelarbeitsplätze und an allein arbeitende Personen

Folgende Grundsätze sind in Bezug auf allein arbeitende Personen und ihre Arbeitsumgebung (Einzelarbeitsplätze) ebenfalls zu beachten:

Persönliche Grundsätze

Es ist zu gewährleisten, dass an Einzelarbeitsplätzen nur Personen eingesetzt werden, die sich psychisch, physisch und intellektuell dafür eignen (obligatorische medizinische Untersuchung und Beratung, Art. 45 ArGV 1).

  • Psychische Eignung

Nicht oder nur bedingt geeignet sind z.B. Personen: die bereits bei Arbeiten in der Gruppe unsicher sind; die an Alleinarbeitsplätzen unter Angst leiden; die unter psychischen Störungen oder an psychischen Krankheiten leiden oder bei denen Konzentrationsstörungen auftreten.

  • Körperliche Eignung

Nicht oder nur bedingt geeignet sind z.B. Personen: die an epileptischen Anfällen, Asthmaanfällen, Blutdruckkrisen usw. leiden.

  • Intellektuelle Eignung

Allein arbeitende Personen müssen in der Lage sein, die Arbeitsmittel bedienen und überwachen zu können und aufgrund von Informationen richtig zu handeln.

  • Psychosoziale Faktoren

Unter ungünstigen Umständen können alleinarbeitende Personen vereinsamen. Allein Arbeitende sind daher besonders gefährdet, wenn es ihnen wegen der Arbeitszeit oder des Arbeitsortes schwerfällt, in der Freizeit den Kontakt zu anderen Personen zu pflegen.

Insbesondere der letzte Punkt sollte nicht vernachlässigt werden! Der fehlende Kontakt zu anderen Mitarbeitenden kann das Krankheits- und auch das Unfallrisiko beträchtlich erhöhen. Das Alleinsein kann insbesondere zur psychischen Belastung werden (Isolationsgefühl, Angst).

Arbeitsumgebung (Einzelarbeitsplätze)

Die Arbeitsumgebung sollte wie folgt ausgestattet sein:

  • ergonomischer Arbeitsplatz

Die Arbeit im Homeoffice ist meist Bildschirmarbeit in der immer gleichen Sitzposition. Ein nicht ideal eingerichteter Arbeitsplatz kann zu unbequemen Positionen und einer schlechten Haltung führen. Zusammen mit der oftmals fehlenden Bewegung kann dies mittelfristig gesundheitliche Beschwerden verursachen. Deshalb ist es wichtig, dass die Büromöblierung gewisse ergonomische Kriterien erfüllt.

  • ausgewogene zeitliche Arbeitsorganisation

Beim Homeoffice finden sowohl das Berufs- als auch das Familien- und das soziale Leben am gleichen Ort statt. Das kann dazu führen, dass die Grenze zwischen Freizeit und Arbeitszeit verschwimmt. Durch die Autonomie der Arbeitnehmenden im Homeoffice bei ihrer Zeit- und Arbeitsorganisation kann es zu atypischen Arbeitszeiten oder Tagesstrukturen kommen. So wird womöglich auf Pausen verzichtet und/oder insgesamt zu lange gearbeitet. Zudem kann durch die Arbeit im Homeoffice die Erwartung entstehen, dass die betreffende Person (per E-Mail, Telefon etc.) ständig erreichbar sein muss, auch ausserhalb der vereinbarten Arbeitstage und -zeiten. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass die zeitliche Arbeitsorganisation ausgewogen ist.

  • Notruf

Für jede allein arbeitende Person ist in der Nähe ihres Arbeitsplatzes die Möglichkeit zu schaffen, im Notfall jederzeit Hilfe anzufordern, z.B. durch Telefon, Mobiltelefon.

Bitte beachten Sie, dass die vorgenannten Anforderungen nicht abschliessend sind. Auch sollte jeder Einzelfall (Arbeitsplatz) gesondert geprüft werden. Weitere Tipps oder Kriterien für einen gesunden Arbeitsplatz finden Sie im SECO-Merkblatt «Homeoffice – Gesundheitsschutz – auch beim Arbeiten zu Hause» (vgl. untenstehende Quellenangabe).

Fazit und Schlussbemerkung rund ums Homeoffice

Beim Arbeiten im Homeoffice hört die Gesamtverantwortung des Arbeitgebers in Bezug auf Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz nicht auf. Der Arbeitgeber hat vielmehr sicherzustellen, dass auch beim Arbeiten im Homeoffice gesunde Arbeitsbedingungen vorherrschen.

Eine klare Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben, eine Tagesplanung mit festen Arbeitszeiten, regelmässiges Ändern der Arbeitsposition, die Kontaktpflege mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen sowie das Ausloggen ausserhalb der Arbeitszeiten sind nur einige bewährte Praktiken, damit das Homeoffice nicht zur gesundheitlichen Belastung wird.

Doch jede Arbeitssituation muss individuell beurteilt werden. Die Betriebe sind dafür verantwortlich, bewährte Praktiken unter Berücksichtigung der spezifischen Situation festzulegen. Dazu sind mit Vorteil auch die Mitarbeitenden zu konsultieren und es kann auch sinnvoll sein, diese Praktiken in einer Vereinbarung und/oder einer Weisung speziell zum Homeoffice festzuhalten.

Als Jurist rate ich Ihnen eine solche Weisung oder Vereinbarung betreffend Homeoffice aufzusetzen und den Arbeitsplatz im Homeoffice, z.B. mittels Fotobeweis, zu dokumentieren. Falls Sie Unterstützung benötigen, können Sie mich gerne kontaktieren.

Quellenangaben: Merkblatt «Homeoffice – Gesundheitsschutz – auch beim Arbeiten zu Hause», Bundespublikation Nr. 710.246 d, herausgegeben vom SECO Staatssekretariat für Wirtschaft und Arbeit.

 

Der Autor lic. iur. Michel Rohrer ist ein ausgewiesener Spezialist für Arbeits- und Gesundheitsrecht und verfügt u.a. über eine Zusatzausbildung als Sicherheitskoordinator nach EKAS, Mail: michel.rohrer@aequitas-ag.ch, www.aequitas-kontrollen.ch.

 

 

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