Freitag, 20. September 2024
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Intelligente Gebäude und Infrastrukturen können heute eine Menge – und werden künftig noch mehr können. Deshalb ist es wichtig, die Sicherheit in jedem Schritt von der Planung bis zum Betrieb mitzudenken und nicht als alleinstehende und unabhängige Disziplin zu betrachten.

Sicherheit ist laut Definition die Abwesenheit von nicht akzeptablen Risiken. Um zu entscheiden, welche Risiken akzeptabel sind und welche nicht, ist etwas Hirnschmalz nötig. Dann wird man erkennen: es gibt eine ganze Menge an nicht akzeptablen Risiken.

«Dementsprechend wird man auch ganz viele verschiedene Sicherheiten finden», sagt Jens Feddern, Head Vertical Market Life Sciences bei Siemens Schweiz AG. «Von der Personensicherheit über die Investitionssicherheit und die Geschäftskontinuität bis hin zur Produktsicherheit. Der Begriff Sicherheit lässt sich beliebig weit spannend. Die Methode ist immer identisch. Es geht darum, die potenziellen Risiken zu erkennen und zu bestimmen, welche man akzeptiert und welche nicht. Dann müssen Massnahmen die Eintrittswahrscheinlichkeit oder die Auswirkungen reduzieren und die Entdeckungswahrscheinlichkeit erhöhen.»

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Kann sich ein Sicherheitsverantwortlicher alleine darum kümmern?

Sicherheitsthemen gehen durch alle Disziplinen. Je nach Disziplin gibt es ganz unterschiedliche Sicherheitsbedürfnisse, die alle gleichberechtigt sind. Sicherheit reicht weit in Aspekte der Planung, des Betriebs und des Unterhalts und taucht plötzlich in Bereichen auf, wo man sie vielleicht gar nicht erwartet hätte. «Man muss sich den Risiken einfach bewusst sein, sie kennen und sie beurteilen. Dieses Bewusstsein und die Zusammenhänge werden jedoch vielfach gar nicht gesehen, weil sich darum ja der Sicherheitsverantwortliche kümmern muss», sagt Jens Feddern.

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Kann das der Sicherheitsverantwortliche tatsächlich alleine? «Das funktioniert nicht», sagt Jens Feddern. «Weder gibt es eine absolute Sicherheit, noch kann man Sicherheit outsourcen, noch kann ein Sicherheitsverantwortlicher alleine dafür sorgen, dass man sicher ist. Ihn kann man zwar beauftragen, ein bestimmtes Risikofeld kontinuierlich zu überwachen und die richtigen Massnahmen einzuleiten. Das kann er aber nur in stetigem Austausch mit allen anderen Beteiligten.»

Ab wann gehört die Sicherheit auf den Tisch?

Rund um ein Gebäude gibt es viele Unsicherheiten, schon lange bevor ein Architekt die ersten Striche zeichnet. «Wer ein Gebäude bauen möchte, braucht eine grosse Kristallkugel», sagt Jens Feddern. «Wofür soll dieses Gebäude über die nächsten 40 Jahre verwendet werden? Zu diesem Zeitpunkt gibt es viele Annahmen, die auf der Vergangenheit, auf Erfahrungen, auf Wünschen oder auf Marktstudien basieren. Aufgrund dieser Annahmen definiert ein Investor oder Bauherr, was er will. Diese Information gibt er an einen Architekten weiter, dann kommen Fachplaner ins Spiel, aber alle arbeiten weiterhin auf der Basis von Annahmen. Welche Annahmen tatsächlich eintreffen und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie korrigiert werden müssen, das weiss niemand.»

Tatsächlich wird diese Wahrscheinlichkeit in unserer heutigen Zeit nicht kleiner. Die Rahmenbedingungen und die Marktbedürfnisse ändern sich schnell, das Bedürfnis nach Flexibilität wächst und wird zu einer Grundvoraussetzung. Das macht die Beurteilung von physischen Risiken noch viel schwieriger. «Es gilt, ein robustes Sicherheitskonzept aufzubauen, dass den Architekten und Planern gewisse Spielräume gibt», sagt Jens Feddern, «das aber auch gewisse Einschränkungen hat, in denen sich die Architekten bewegen müssen. Allerdings muss man zu diesem Zeitpunkt akzeptieren, dass man die genaue Nutzungsart nicht kennt und Brandabschnitte, Fluchtwege und diverse Objektrisiken noch nicht beurteilen kann.»

Aus Sicht von Jens Feddern ist genau dieses Spannungsfeld die grosse Herausforderung des Bauens in der Gegenwart und Zukunft. «Sicherheitsexperten müssten im Prinzip vom Tag Null an mit am Tisch sitzen und sich bereits mit der Bauherrschaft und den Investoren austauschen, welche Tätigkeiten im Gebäude ausgeführt werden und welche Risiken damit verbunden sind. Aus dieser Perspektive müssen sie dann wiederum mit den Planern sprechen.»

Müssten in Prinzip – in der Praxis kommt das tatsächlich noch eher selten vor. Je fachspezifischer eine Aufgabe ist, desto später wird sie eingebunden und desto schwieriger wird es, Einfluss zu nehmen. «Die Fachdisziplinen konzentrieren sich auf ihr Kerngeschäft», sagt Jens Feddern. «Disziplinenübergreifend zu arbeiten heisst ausserhalb seiner Komfortzone zu arbeiten. Dann ist man von ganz vielen anderen Parametern abhängig, die man selber gar nicht steuern kann. Deshalb machen die anderen Beteiligten erst einmal ihre Arbeit und man sagt später, wie es aus der eigenen Sicht aussehen sollte. In einem integrierten Ansatz funktioniert das allerdings nicht.»

BIM: was man in Sachen Sicherheit schon im Modell planen kann

Für einen solchen integrierten Ansatz eignet sich Building Information Modelling (BIM) – auch um Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen und zu beurteilen. Hier gibt es zwei Dimensionen: Die eine ist das eigentliche 3D-Modell mit einem hohen Detaillierungsgrad, bevor überhaupt etwas gebaut wird. Alle beteiligten Disziplinen können und sollen sich einbringen. So lässt sich gemeinsam anschauen, was man vorhat und ob das beispielsweise den Sicherheitsrichtlinien entspricht.

«Die zweite Dimension ist der objektorientierte Ansatz», sagt Jens Feddern. «BIM ist nämlich viel mehr als nur eine 3D-Visualisierung. Jedes Objekt hat einen ganzen Katalog an Eigenschaften. Es ist sehr hilfreich, wenn auch sicherheitsrelevante Parameter im gesamten Objekt mitgeführt werden, beispielsweise die Brandeigenschaften von Materialien. So lassen sich Risiken einfacher beurteilen und Auswertungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven werden möglich. BIM ist also ein ganz grosser ‘Enabler’, um Sicherheitsthemen in einem integrierten Ansatz umsetzen zu können.»

Energieverteilung und Elektromobilität

Ohne Strom funktioniert in einem Gebäude kaum mehr etwas – heute nicht und künftig noch viel weniger. «Alles ist aufgebaut auf einer durchgängigen, robusten, zuverlässigen und hochverfügbaren Energieversorgung», sagt Feddern.

«In der Schweiz mussten wir uns schon lange keine Sorgen um die Energieversorgung machen, wir sind es gewohnt, dass Strom aus der Steckdose fliesst. Aber wie reagiert ein Gebäude, wenn plötzlich kein Strom mehr kommt? Rund um den Ausstieg aus der Atomkraft oder die Förderung von erneuerbaren Energien verändert sich die Wahrscheinlichkeit für einen ungeplanten Blackout. Dadurch ändert sich auch das Niveau des akzeptablen Risikos. Zu Hause ist ein Stromausfall ärgerlich, aber nicht tragisch. In einem Spitalbetrieb oder Datacenter ist ein solches Szenario jedoch katastrophal. Also müssen wir das Thema plötzlich neu beurteilen, und zwar in allen möglichen Verbindungen.»

Jens Feddern.

Neben der Versorgungslage spielen hier auch neue Themen des Energieverbrauchs eine Rolle. Mit der Elektromobilität kommt auf einmal ein neuer Verbraucher ans Netz, der einen gewaltigen Durst nach Strom hat. Wir müssen uns also fragen, ob unsere Infrastruktur diesen Durst überhaupt stillen kann. Fallen andere Anlagen aus, wenn in der Tiefgarage mehrere Elektroautos ihre Batterien laden? Wie können wir damit umgehen, wie verteilen wir den zur Verfügung stehenden Strom?

«Hier werden Fragen der Energieverteilung und des Energiemanagements matchentscheidend und man muss vorausschauend agieren anstatt zu reagieren», sagt Feddern. «In einem Spital haben die lebensrettenden Geräte und die Energieversorgung im Operationssaal absolute Priorität. Tatsächlich könnten die Batterien von Elektroautos sogar helfen, ein Netz zu stabilisieren, wenn Energieflüsse in beide Richtungen möglich sind. Technisch ist das kein Problem, rechtlich allerdings schon.»

Brandschutz: Schneller mit flexiblen Nutzungen mithalten

Brandschutz ist das mit Abstand grösste Einzelrisiko im Gebäude. Und es ist durch regulatorische Vorgaben, Gebäudeversicherungen und Brandschutzexperten ein omnipräsentes und stark reguliertes Risiko. «Der Erfolg gibt diesem Fokus recht, die Anzahl an Vorfällen ist sehr gering», sagt Feddern. «Das Konzept scheint zu funktionieren.»

Allerdings richtet sich ein Brandschutzkonzept stark nach der Nutzung eines Gebäudes. Ändern wir etwas an der Nutzung, hat das Auswirkungen auf das Konzept. «Ein Gebäude an sich ist leicht veränderbar», sagt Jens Feddern. «Am meisten Zeit brauchen die Anpassung, Überprüfung und Genehmigung des Brandschutzkonzeptes. In Sachen Flexibilität sind rund um den Brandschutz noch viele Hausaufgaben nötig. Wenn künftig alles flexibel in Plug-and-Play-Infrastrukturen ablaufen soll, dürfen Brandschutzkonzepte nicht derart steinzeitlich und langsam beurteilt werden. Die Entwicklung setzt voraus, dass man ein Konzept kontinuierlich überprüfen und anpassen kann, damit man schneller mit Änderungen mithält.»

Einen Artikel zur Digitalisierung rund um Brandmeldeanlagen finden Sie übrigens hier.

Sicherheitssysteme: Zusammenspiel von Sicherheitsgewerken durch vernetzte Plattformen

Die physikalische Sicherheit von Zutrittskontrolle über Videoüberwachung bis Brandmeldeanlagen besteht heute komplett aus IT- und IP-basierten Systemen. «Deshalb ist es bestimmt hilfreich, wenn ein Sicherheitsexperte auch digital affin ist», sagt Jens Feddern.

«Wir können mit diesen Gewerken viele Daten sammeln und daraus Nutzen kreieren. Wir können Informationen verknüpfen und neue Erkenntnisse gewinnen. Beispielsweise lassen sich Personenflüsse verbessern, wenn wir in Echtzeit wissen, wo sich diese Menschen aufhalten. Videoaufzeichnungen helfen nicht nur im Störfall, sondern können durch Auswertungen Prozesse verbessern. Es geht also einerseits um die Geräte, die heute IT-basiert und untereinander vernetzt sind, es geht aber auch um die Daten, die diese Geräte liefern. Ist ein Sicherheitsexperte digital nicht affin, wird sein Leben in Zukunft sehr schwer.»

Neben den Chancen bringen diese Entwicklungen auch Risiken mit sich: Cyberrisiken. «Je vernetzter wir werden, je mehr IT wir haben, desto angreifbarer werden wir», sagt Feddern. «Diverse Romane und Spielfilme schildern das in sämtlichen Ausprägungen. Wie viel Wahrheit auch immer darin stecken mag, auf jeden Fall wird die Cybersicherheit stetig wichtiger.»

Mehr zu vernetzten Sicherheitsgewerken lesen Sie übrigens hier.

Gebäude- und Raumautomation – wie hängt das mit Sicherheit zusammen?

Die Gebäude- und Raumautomation hat zur Aufgabe, für die Umgebungsbedingungen zu sorgen: Komfort, Licht, Beschattung, Behaglichkeit und ähnliches. Häufig werden Gebäude- und Raumautomation entkoppelt von Gewerken der physischen Sicherheit betrachtet und betrieben.

Trotzdem haben die Umgebungsbedingungen teilweise auch massive Auswirkungen auf die Sicherheit: In gewissen Bereichen können sie nämlich sehr kritisch sein, zum Beispiel wenn ein bestimmter Prozess klare Bedingungen an die Luftreinheit verlangt, wie in einem Spital oder einem Reinraum in der pharmazeutischen Industrie.

«Hier können nur Konzepte rund um die bewegte Luft helfen, dass Stoffe oder Patienten nicht kontaminiert werden», sagt Feddern. «Die Gebäude- und Raumautomation kann das steuern, regeln und überwachen. Die Systeme sind die Ohren, Augen und das Gehirn und arbeiten vorausschauend, nicht nur reaktiv wie beispielsweise ein Brandmelder.»

IoT in Gebäuden bietet Optimierungspotenzial  – auch für die Sicherheit?

Das Internet of Things (IoT) oder das Industrial Internet of Things (IIOT) sind heutzutage in aller Munde. Doch Sensoren werden schon seit vielen Jahren verwendet und liefern der Gebäudeautomation wichtige Informationen. Warum sollen wir unsere Multisensoren überhaupt mit dem Internet verbinden?

«Die Anbindung ans Internet hat einen grossen Vorteil», sagt Jens Feddern. «Die Rechenleistung, die ich für gewisse Auswertungen benötige, muss ich nicht bei mir vorhalten. Ich kann die Sensordaten einfach in die Cloud schieben und auf Systeme zurückgreifen, die leistungsfähiger sind als alles, was ich für mich selbst aufbauen könnte. Ausserdem kann ich Funktionalitäten und Algorithmen nutzen, die ich selbst nicht verfügbar habe.»

«Mit der steigenden Sensordichte erhalten wir mehr Daten zur Fläche und dadurch vollkommen neue Informationen», sagt Feddern. «Wir können Echtzeitinformationen zu unseren Einrichtungen und Räumlichkeiten nutzen und können Entscheidungen besser treffen. Wir gewinnen Erkenntnisse und können Gegensteuer geben und Sicherheitsrisiken minimieren.»

Hinzu kommt: wenn die Daten in der Cloud sind, können sie auch von anderen verwendet werden. «In der Regel möchten wir nicht, dass jemand auf unsere Daten zugreift», sagt Jens Feddern. «Allerdings gibt es Firmen, die eine Menge für uns erreichen können, wenn sie unsere Daten mit ihren Algorithmen auswerten. So erhalten wir Rückmeldungen und Erkenntnisse, die wir sonst nie hätten.» Ein Beispiel: Eine Firma mit Zugriff auf die Messdaten unserer Anlagen kann uns genau sagen, wann wir was warten müssen, weil sonst ein Ausfall droht. Das spart uns eine Menge Kosten rund um die industrielle Instandhaltung und um vermiedene Produktionsausfälle.

«Das IoT ist das Fundament für eine neue Nutzung von Gebäuden», sagt Feddern. «Der Nutzer ist eingebunden und nicht nur ein passiver Beteiligter der Umgebungsbedingungen. Damit eng verbunden sind aber viele Fragen der Cybersecurity.»

Digitalisierung revolutioniert auch die Sicherheit

«Wir sind in einer Übergangsphase», sagt Jens Feddern. «Es ist wohl eher eine Revolution als eine Evolution. Für viele ist es schwierig mitzuhalten. Viele finden die Entwicklungen spannend, andere sehen eher die Risiken als den Sinn und Zweck. Doch die Welle ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist nicht die Frage, ob die Digitalisierung uns trifft, sondern nur noch wann sie uns trifft.»

Digitalisierung an sich habe keinen Selbstzweck. Doch das Umfeld verändere sich so, dass die Digitalisierung notwendig sei, sagt Feddern. «Wenn man Gebäude flexibel nutzen und seine Investitionen sicherstellen möchte, muss man sich anpassen können. Und das wird immer auch die Sicherheit beeinflussen. Als Sicherheitsexperte kann man nicht starr an seinem Konzept festhalten, sondern muss es ebenfalls den sich ändernden Bedürfnissen anpassen.»

Deshalb ist es wichtig, dass der Sicherheitsexperte mit der Zeit mitgeht. Die Digitalisierung bedeutet nämlich nicht, dass nichts mehr Bestand hat, was er lernte, machte und kann. Diese Kompetenzen und Erfahrungen bleiben wichtig. «Sie müssen nun einfach noch mit den neuen Bedingungen kombiniert werden», sagt Feddern. «Das ist eine grosse Herausforderung. Aber wer das nicht macht, geht ein anderes Risiko ein – nämlich in einer Sackgasse zu landen. Dann geht es plötzlich um die Arbeitsplatzsicherheit. Auch das ist Sicherheit.»

Alle Themen an einem Ort

Dieser Artikel zeigte eine Menge Themen auf, die mit der Sicherheit zusammenhängen. Es gäbe noch mehr. Wir haben uns aber vor allem auf jene Aspekte fokussiert, die im neuen Pilotlabor am Hauptsitz von Siemens Smart Infrastructure in Zug an einem zentralen Ort gemeinsam betrachtet und erlebt werden können. Darüber hinaus ist die Siemens Schweiz AG während der Swissbau 2022 in Basel im Innovation Lab mit einem anschaulichen BIM Case vertreten. Messegutscheine können Sie hier bestellen.

In Zusammenarbeit mit Siemens Schweiz AG.

Lesen Sie auch: Siveillance Suite – Smarte Sicherheit für smarte Gebäude

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Chefredaktor safety-security.ch / CEO bentomedia GmbH / Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität SVBS / SFJ-Award für Qualitäts-Fachjournalismus

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