Donnerstag, 19. September 2024
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Die technische Überwachung von Mitarbeitenden liegt im Trend. Die Mittel und Möglichkeiten sind in den letzten Jahren dank des technischen Fortschritts stark ausgebaut worden. Überwachungs- und Kontrollsysteme sind benutzerfreundlicher, einfach zu installieren und haben bloss noch geringe Anschaffungs- und Betriebskosten. Doch was ist erlaubt und wann spricht man von unzulässiger technischer Überwachung von Mitarbeitenden?

Autor: lic. iur. Michel Rohrer

Dieser Artikel gibt Arbeitgebern, Führungskräften, Sicherheits- und Personalverantwortlichen sowie weiteren Interessierten einen Überblick über die Grundsätze, Voraussetzungen und Einschränkungen für das Betreiben technischer Überwachungs- und Kontrollsysteme in Bereichen mit Arbeitsplätzen. Zudem wird aufgezeigt, wie solche Systeme in Betrieben rechtskonform zu installieren und zu betreiben sind. Nicht Gegenstand des Artikels ist die Datenbearbeitung und -auswertung.

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Technische Überwachung und Kontrolle: Systeme

Mit Überwachungs- und Kontrollsystemen sind technische Systeme gemeint, die Tätigkeiten oder Verhaltensweisen von Arbeitnehmenden erfassen und evtl. aufzeichnen können.

Beispiele dafür sind:

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  • Videoanlagen mit Liveüberwachung oder Aufzeichnung;
  • Mikrophone oder Gegensprechanlagen mit Aufnahmefunktion;
  • Ortungssysteme (GPS, RFID etc.) mit Liveüberwachung oder Aufzeichnung;
  • Informatikmittel mit Data-Logger (URL, E-Mail, Spyware, Systemlogs etc.);
  • Telefonzentralen, Telefonanlagen mit Abhör- oder Aufzeichnungsmöglichkeit;
  • Fax-, Scan- und Fotokopiergeräte mit Dokumentenspeicher.

Als Grundsatz gilt, dass Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz überwachen sollen, nicht eingesetzt werden dürfen. Anders ausgedrückt, dürfen Überwachungs- und Kontrollsysteme, sofern sie keine Verhaltensüberwachung des Personals ermöglichen, überall auf dem Betriebsgelände eingerichtet werden, wo sich das Personal nur selten aufhält.

Beispiele dafür sind:

  • Ausserhalb der Gebäude, bei Parkplätzen und in Tiefgaragen;
  • Bei Zugängen, Eingängen und Durchgängen;
  • Bei gefährlichen Maschinen, Anlagen und in Tresorräumen;
  • Bei gefährlichen Installationen im Freien;
  • Bei Lagern von gefährlichen Gütern.

Güterabwägung zwischen Betriebsinteresse und dem Persönlichkeitsschutz

Der Schutz der Persönlichkeit respektive der persönlichen Integrität geniesst in unserem Rechtssystem einen hohen Stellenwert und ist in verschiedenen Gesetzen verankert, wie zum Beispiel im Zivilgesetzbuch (ZGB), im Obligationenrecht (OR), im Arbeitsgesetz (ArG) und dessen Verordnung 3 (ArGV 3) sowie im Datenschutzgesetz (DSG) und dessen Verordnung.

Für den Schutz der persönlichen Integrität und Gesundheit am Arbeitsplatz gelten gemäss Arbeitsgesetz besondere Regeln (vgl. insbesondere Art. 26 ArGV 3). Diese Regeln verbieten jegliche technische Überwachung, die das individuelle Verhalten von Arbeitnehmenden ständig oder zeitweise erfasst oder aufzeichnet.

Sollen demnach technische Überwachungs- und Kontrollsysteme eingesetzt werden, so ist eine entsprechende Güterabwägung unumgänglich. Jede Überwachungs- und Kontrollmassnahme im Betrieb muss bezüglich ihrem Zweck und ihrer Wirkung (Zumutbarkeit) verhältnismässig sein. Dazu muss in jedem Einzelfall eine Interessensabwägung (Betriebsinteresse versus Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmenden) durchgeführt werden.

Um das Betriebsinteresse abzuschätzen, ist insbesondere

  • der Sicherheit der Arbeitnehmenden und von Dritten,
  • der Sicherung von überlebenswichtigen Betriebsgütern sowie
  • der Datensicherheit und
  • Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben Rechnung zu tragen *).

*) So müssen beispielsweise Casinos mit Video-Überwachungssystemen ausgerüstet sein (vgl. Art. 3 der Verordnung des EJPD über Überwachungssysteme und Glücksspiele).

Wird bei der Interessensabwägung das Betriebsinteresse höher als der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmenden eingestuft, handelt es sich um ein sogenannt überwiegendes Interesse.

Beispiele für ein überwiegendes Betriebsinteresse sind u.a.:

  • Videoüberwachung eines Tresorraums in einer Bank, einem Schmuckgeschäft;
  • Videoüberwachung in Goldschmiedewerkstätten, Kunstgalerien, Museen;
  • GPS, das den Aufenthaltsort z.B. eines Fahrzeuges präzise ermittelt (zum Beispiel Chauffeure, die Personen oder heikle Güter transportieren oder Dienstleister wie Taxis, Pannendienste, Servicemonteure etc.).

Grundsatz: Je wichtiger ein zu überwachendes Gut des Betriebes für seine Existenz ist, desto eher kann eine Überwachung der Arbeitnehmenden, welche Zugang zu oder Umgang mit diesem Gut haben, in Kauf genommen werden.

Beurteilung der Verhältnismässigkeit

Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit gilt es, die folgenden Aspekte sachlich gegeneinander abzuwägen:

  • das Risiko einer Verletzung der Persönlichkeitssphäre oder Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmenden,
  • die Interessen und Ziele des Unternehmens, und
  • die Überwachungsfunktionen und allfällige Datenaufzeichnung des Systems.

Zu den Interessen des Betriebes zählen beispielsweise: die Einbruchssicherheit, die Unfallverhütung, die Wertsicherung sowie die Zutrittskontrolle.

Leistungs- oder Verhaltensüberwachung

Das Gesetz verbietet grundsätzlich eine «Verhaltensüberwachung» und lässt aber die «Leistungsüberwachung» zu. Doch Verhalten und Leistung hängen oft stark voneinander ab. Entsprechend ist eine scharfe Abgrenzung zwischen (erlaubter) Leistungs- oder Sicherheitsüberwachung und (unerlaubter) Verhaltensüberwachung in vielen Fällen nur schwer oder gar nicht möglich.

Denken wir beispielsweise an die Registrierung der Anzahl entgegengenommener Anrufe in einem Callcenter oder die Wegregistrierung von Firmenfahrzeugen zur ökonomischen Wegoptimierung durch Disponenten. Darüber hinaus zeichnen zahlreiche Unternehmen Telefonanrufe zu Schulungszwecken, zur Qualitätssicherung oder Schlicht aus Beweisgründen (Vertragsabschlüsse; Bestellungen, Kündigungen etc.) auf.

Die Unterscheidung zwischen Leistungs- oder Verhaltensüberwachung macht in der Realität oftmals keinen Sinn. Wichtig ist somit einzig die Güterabwägung zwischen dem Betriebsinteresse und dem Persönlichkeitsschutz.

Eine Möglichkeit besteht darin, Überwachungs- und Kontrollsysteme nur in Abwesenheit der Arbeitnehmenden in Betrieb zu setzen (z.B. Diebstahlüberwachungsanlagen, Einsatz nur wenn notwendig, usw.).

Rechtskonformer Betrieb und Installation

Bereits in der Planungsphase eines Überwachungs- und Kontrollsystems sollte geprüft werden, welcher Typ wofür, wann und wie eingesetzt werden soll. Ist es zur Qualitätssicherung, Produktions- respektive Leistungsoptimierung oder Sicherheit erforderlich, so müssen sie bedürfnisgerecht ausgewählt und derart installiert sowie betrieben werden, dass die oben genannten Schutzanforderungen erfüllt sind.

Da ein Ausschluss der Verhaltensüberwachung in der Praxis meist nicht möglich ist, sollte dargelegt werden können, was mit dem Überwachungsziel erreicht werden soll. Zudem muss plausibel dargelegt werden können, dass das Überwachungsziel nicht mit einer anderen, den Persönlichkeits- und Gesundheitsschutz besser wahrenden Massnahme erreicht werden kann.

Auch ist die Verhältnismässigkeit der Massnahme mittels Güterabwägung aufzuzeigen und zu begründen, dass das Betriebsinteresse höher als der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmenden eingestuft wird.

Schliesslich ist sicherzustellen, dass aufgezeichnete Daten, welche Rückschlüsse auf das persönliche Verhalten der Arbeitnehmenden zulassen, niemals widerrechtlich zur Leistungsbeurteilung oder einem repressiven Zweck verwendet werden.

In der Wegleitung zur Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz betreffend Art. 26 findet sich ein Flussdiagramm zur Planungs- und Entscheidungsgrundlage eines technischen Überwachungs- und Kontrollsystems:

Anhörung der Arbeitnehmenden

Soll ein Überwachungs- und Kontrollsystem im Bereich von Arbeitsplätzen installiert werden, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Der Grund für ein Überwachungssystem muss ein anderer sein als die Verhaltensüberwachung.
  2. Das System muss im Verhältnis zur Erreichung des Überwachungsziels notwendig und verhältnismässig sein.
  3. Die Überwachungsmassnahme muss im Verhältnis zur Belastung der Betroffenen angemessen sein (Wirkung der Massnahme).
  4. Die betroffenen Arbeitnehmenden werden vor der Inbetriebnahme über Zweck und Verwendung des Systems informiert und angehört.

Fazit und Schlussbemerkung

Die unzulässige technische Überwachung der Mitarbeitenden ist eine Form der Verletzung der persönlichen Integrität. Das Arbeitsgesetz verpflichtet den Arbeitgeber die erforderlichen Massnahmen zum Schutz der persönlichen Integrität der Arbeitnehmenden vorzusehen. Handelt der Arbeitgeber diesbezüglich nicht gesetzeskonform, so macht er sich strafbar und kann auch zivilrechtlich belangt werden.

Wird beispielsweise anhand der gemachten Aufzeichnungen das persönliche Verhalten der Mitarbeitenden für eine Personalbeurteilung ausgewertet, so verletzt dies die persönliche Integrität der Betroffenen. Das ist Datenmissbrauch, der für einen Arbeitgeber sowohl eine Anzeige beim zuständigen kantonalen Arbeitsinspektorat als auch zivilrechtliche Klagen und Schadenersatzforderungen seitens der betroffenen Arbeitnehmenden nach sich ziehen kann.

Doch nicht nur die eigenen Arbeitnehmenden geniessen Persönlichkeitsschutz, sondern auch Dritte wie beispielsweise Kunden oder Passanten, deren Personendaten erhoben werden. Zu denken ist beispielsweise an (Video-)Aufzeichnungen des akustischen und visuellen Hintergrunds im Eingangsbereich des Betriebs, in Betriebshallen und -Räumen etc. Werden diese Aufzeichnungen ohne Zustimmung bzw. Wissen der betroffenen Personen gemacht, so stellt dies ein Verstoss im strafrechtlichen Sinne gemäss Art. 179bis bis 179quater Strafgesetzbuch sein. Überwachte Bereiche (Video, akustisch etc.) sind klar als solche zu kennzeichnen.

Quellenangaben: Broschüre «Technische Überwachung am Arbeitsplatz», Bundespublikation Nr. 710.239 d, herausgegeben vom SECO Staatssekretariat für Wirtschaft und Arbeit.

Der Autor lic. iur. Michel Rohrer ist ein ausgewiesener Spezialist für Arbeits- und Gesundheitsrecht und verfügt u.a. über eine Zusatzausbildung als Sicherheitskoordinator nach EKAS, Mail: michel.rohrer@aequitas-ag.ch, www.aequitas-kontrollen.ch, 061 281 75 15.

 

 

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