Freitag, 20. September 2024
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Manche Betriebe haben Angst vor dem Besuch eines Auditors, obwohl sie sich gar keine Sorgen machen müssten. Andere haben keine Angst, obwohl sie gut daran täten. Wir wollten wissen, worauf ein Auditor eigentlich genau achtet und begleiteten einen zu einem Besuch in einem Unternehmen.

Kommt ein Auditor als Durchführungsorgan in den Betrieb, zum Beispiel im Auftrag der Suva oder eines Arbeitsinspektorats, hat er durchaus einige Macht und könnte den Betrieb einstellen, wenn Leib und Leben gefährdet sind. Wenn Pascal Schori von der sécurité+santé gmbh ein Audit macht, hat er aber meistens eine beratende Funktion und ist als Helfer im Unternehmen, der zusammen mit dem Kunden auf Lösungssuche geht, um Unfälle verhindern zu können. Wir begleiteten ihn zu einem solchen Termin in einem Bürobetrieb in Basel, mit acht Mitarbeitenden. Das ist eine eigentlich wenig spektakuläre Ausgangslage und man könnte sich denken: «Was soll man in einem Büro schon finden? Das ist doch harmlos.» Aber lesen Sie selbst.

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Vorabklärungen

Pascal Schori geht dabei genau gleich vor, wie wenn er Durchführungsorgan wäre. Er wetzt nicht gleich wild durch die Räumlichkeiten, sondern setzt sich erst einmal mit dem Geschäftsführer an einen Tisch im Sitzungszimmer. Er fragt nach den Gefahren im Betrieb, nach der Betriebsgrösse, nach allfälligen Lernenden und nach den Tätigkeiten. So kann er das Unternehmen in eine Kategorie einstufen und die Auswahl der passenden Fragen in seinem Fragenkatalog zücken. Dieser ist satte 38 Seiten dick. Für einen produzierenden Betrieb oder einen mit besonderen Gefahren – da gehören wegen der Chemikalien übrigens auch Coiffeure dazu – gibt es andere Anforderungen und deshalb auch andere Fragen als für unseren Bürobetrieb.

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Schori will unter anderem wissen, ob es einen Sicherheitsbeauftragten oder eine Kontaktperson für Arbeitssicherheit (KOPAS) gibt – jemanden mit einem Grundwissen in diesen Themen. «Ich muss erkennen, ob jemand eine Gefährdungsbeurteilung machen kann», sagt er. «Denn bevor man Regeln aufstellen und durchsetzen kann, muss man die Gefährdungen erkennen können.»

«Unfälle passieren nicht, sie werden verursacht – das muss man begreifen!»

Eine grundsätzliche Gefährdungsermittlung für Bürobetriebe umfasst 25 Themen rund um Dinge wie Stolpern, Rutschgefahren, Glastüren, Notausgänge, Ergonomie, Überwachung, Arbeitsorganisation, Erste Hilfe, Notfallkonzept und vieles mehr. «Wichtig ist, dass diese 25 Punkte jedes Jahr überprüft werden», sagt Schori. «Man kann das mit der Kontrolle der Betriebsapotheke kombinieren und beispielsweise einen Safety Day einberufen, an dem man sich um all diese Themen kümmert.»

Nach der Theorie der Rundgang

Erst nach rund 20 Minuten Gespräch startet Schori zu einem Rundgang durch die Räumlichkeiten. Er entdeckt rasch diverse Punkte, die sich verbessern liessen:

  • Kabel im Sitzungszimmer, die zur Stolperfalle werden können.
  • Reinigungsmittel in der Putzkammer, die auf einem Karton lagern und besser in einer Auffangwanne stehen würden, falls sie auslaufen. Auch wenn die Putzmittel der Reinigungsfirma gehören und nur von ihr verwendet werden, können sie die eigenen Mitarbeitenden gefährden. Und für die ist der Geschäftsleiter des Bürobetriebes verantwortlich.
  • Die Eingangstüre ist eine Glastüre ohne Markierungen. Schori empfiehlt, das Logo oder ähnliches auf die Tür zu kleben, damit niemand in die Glasscheibe donnert.
  • Die Eingangstüre gleicht den anderen, sie ist jedoch der einzige Fluchtweg – Schori empfiehlt eine Fluchtwegmarkierung.
  • Das Schloss der Eingangstüre liesse sich von aussen verschliessen und Mitarbeitende in einem Notfall einsperren. Schori empfiehlt, zusammen mit dem Vermieter eine Lösung zu finden.
  • Kleinere Stolperfallen finden sich auf dem Weg zum Balkon und für eine Wandleuchte, die für grössere Menschen auf Kopfhöhe liegt, würde er eine Alternative vorschlagen.

Betriebsapotheke: Ablaufdatum und Medikamente im Fokus

«Wo ist die Betriebsapotheke?», fragt Schori. Der Geschäftsleiter geht in die Küche und zeigt auf eine Schublade mit einem klitzekleinen Kleber mit dem internationalen Piktogramm für Erste Hilfe darauf.

«Das ist nicht genug ersichtlich», konstatiert Schori.

«Aber es ist angeschrieben!»

«Zeigen Sie mal den Notfallkoffer.»

«Der ist ganz neu», freut sich der Geschäftsleiter. «Hier hat es auch noch ein paar Tabletten und so.»

«Als erstes schauen wir uns mal das Ablaufdatum des Erste-Hilfe-Materials an. Sie müssen mindestens jedes Jahr kontrollieren, ob das noch gut ist und ob die Betriebsapotheke komplett ist. Haben Sie Schmerzmittel oder ähnliches auf Lager?»

«Nein, nur diese Bepanthen-Salbe zur Desinfektion.»

«Diese Salbe ist abgelaufen.»

«Ach. Wir haben noch eine. Hier. Die ist noch aktuell. Die andere werfe ich weg.»

«Nehmen Sie sie mit nach Hause. Am besten beide. Denn das Produkt hat eine Medikamenten-Vignette D darauf. Sie dürfen das gemäss Heilmittelgesetz nicht an die Mitarbeitenden abgeben. Das dürfen nur medizinische Fachpersonen, mindestens Drogisten. Falls es Ihnen sehr wichtig ist, können Sie mit dem Kantonsarzt oder einem Betriebsarzt besprechen, was Sie tun könnten.»

«Gleich um die Ecke gibt es eine Apotheke.»

«Dann schicken Sie Ihre Mitarbeitenden dorthin, wenn sie etwas zu desinfizieren haben.»

Von Chemikalien über unzufriedene Kunden bis zur Arbeitszeit

In der Küche steht auch eine Kaffeemaschine. Schori fragt, ob es eine Löschdecke gibt, falls ein Kurzschluss einen Brand auslösen würde, was der Geschäftsleiter verneint. Dann fällt sein Blick auf die Entkalkungsflüssigkeit. «Die ist reizend», bemerkt der Auditor. «Wenn das in die Augen spritzt, wird es gefährlich. Eine Augendusche könnte helfen, aber das muss nicht sein. Besser wäre, Sie würden die Entkalkungs-Tabs verwenden, die Sie auch hier haben. Dann ist die Flüssigkeit schon stark verdünnt, bevor sie in die Augen geraten kann. Sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeitenden, dass sie hier besonders aufpassen müssen.»

Spätestens jetzt wird uns deutlich, wie akribisch Schori auf Details achtet. Details, die im Alltag und durch eine sich langsam einstellende sogenannte Betriebsblindheit selbst für sensibilisierte Geschäftsleiter und Mitarbeitende schwer zu erkennen sind.

Er setzt seinen Rundgang fort und stellt fest, dass Schreibtische und Arbeitsplätze ergonomisch gut eingerichtet sind. Dann wendet er sich an die Mitarbeitenden und fragt, ob es Kunden gäbe, die sich schlecht benehmen und ob man wisse, wie man dann vorgehen müsse. Auch ob das Verhalten im Brandfall bekannt und geregelt sei, will er wissen, oder ob es Videokameras gäbe, die zwar Sicherheit bieten, aber rechtlich heikel sein könnten.

Schliesslich geht er auf die Arbeitszeiten ein und löst damit eine längere Diskussion aus. Der Geschäftsleiter hat nämlich ein Luxusproblem: Eine gute und fleissige Mitarbeiterin, die auch noch zu viel arbeitet und zu selten und zu kurze Pausen macht. Was, wenn sie beispielsweise ein Burnout erleidet? Wenn sie Augenprobleme oder Verdauungsstörungen entwickelt? Wenn sie durch die Übermüdung auf dem Heimweg einen Unfall erleidet? Richter und Anwälte werden dann ungemütlich und der Geschäftsleiter müsste beweisen, dass er sich um die Mittagspausen und Arbeitszeiten gekümmert und diese eingefordert hat. So will es das Arbeitsgesetz. «Wir machen häufig gemeinsam Mittag», sagt der Geschäftsleiter, «und ich sage ihr oft, sie solle mal eine Pause machen oder sie sei schon länger hier, es sei Zeit für Feierabend. Ich sehe auch eine Stundenabrechnung am Ende des Monats. Aber die vereinfachte Arbeitszeiterfassung hat natürlich auch Schwächen. Wenn jemand zwölf Stunden arbeitet, aber nur acht Stunden aufschreibt, hilft mir diese Stundenabrechnung wenig.» Die Mitarbeiterin wird in die Diskussion miteinbezogen und gemeinsam mit dem Auditor werden Wege gesucht, wie sichergestellt werden kann, dass die Mitarbeiterin genügend Pausen macht und keine Überstunden anhäuft.

«Unfälle passieren nicht, sie werden verursacht»

Weitere Themen, die Pascal Schori auf den Tisch legt, sind beispielsweise der Schutz der persönlichen Integrität, Mobbing, sexuelle Belästigung oder Freizeitunfälle. Schliesslich sind wir so weit: Punkt 5 der elf Punkte eines ASA-Konzeptes – die Gefährdungsbeurteilung – haben wir heute durchgespielt. Der Rundgang war verhältnismässig kurz – in grösseren und produzieren Betrieben kann das deutlich länger dauern. Aber heute waren wir in einem kleineren Büro und obwohl wir hier kaum Gefahren erwarten würden, konnten wir einige Verbesserungspunkte ausmachen.

«Vor einem Audit muss man keine Angst haben. Man kann nur daraus lernen.»

Pascal Schori wird sich in drei Monaten nochmals anschauen, was verbessert wurde. «Wenn man mittendrin ist, sieht man die Kleinigkeiten nicht mehr», sagt er. «Man wird betriebsblind. Deshalb tun externe Blickwinkel gut. Ein Audit soll etwas positives sein und dabei helfen, weiterzukommen.»

In einem Büro müsse man vor allem Themen wie Ergonomie, Stolperfallen, den Brandfall und die Erste Hilfe gemeinsam anschauen. «Viele Unternehmen haben zudem das Gefühl, alles im Griff zu haben, doch haben sie nichts davon dokumentiert», bemerkt Schori. «Wenn etwas passiert, kommen sie in Beweisnot.» Ausserdem seien sich viele Unternehmer ihrer Verantwortung gar nicht bewusst. Es gäbe aber auch Unternehmen, denen die Arbeitssicherheit schlicht egal sei.

Was Pascal Schori ganz wichtig ist: «Unfälle passieren nicht, sie werden verursacht. Es gibt immer eine Ursache für einen Unfall. Das muss man begreifen!» Auch deshalb muss man nicht darauf warten, dass ein offizielles Audit stattfindet oder sich sogar ein Unfall ereignet. Man darf durchaus proaktiv auf Auditoren zugehen und gemeinsam einen Rundgang machen, um Unfallursachen zu reduzieren und zu eliminieren.

«Ich habe heute wieder einiges gelernt», resümiert der Geschäftsleiter. «Vor einem Audit muss man keine Angst haben. Ich hatte zwar Respekt und fragte mich: was sieht der Auditor, was ich selbst nicht sehe? Aber ich machte mir keine Sorgen und hatte eine positive Einstellung. Man kann nur daraus lernen. Das schützt mich und meine Mitarbeitenden.»

In Zusammenarbeit mit betriebsapotheke.ch

 

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