Welche Berührungspunkte haben Verschwörungstheorien, Desinformation und Rassismus? Dieser aktuellen Frage geht die Zeitschrift Tangram der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) in ihrer neusten Ausgabe nach.
Warum halten sich einige Verschwörungsmythen so hartnäckig? Warum zielen sie vor allem auf bestimmte Gruppen? Wie soll man auf dieses im Internet allgegenwärtige Phänomen reagieren? Mit dieser Tangram-Nummer will die EKR zum besseren Verständnis der unterschwelligen Mechanismen beitragen, die rassistische und diskriminierende Handlungen begünstigen.
Wer Rassismus bekämpfen will, muss Stereotype und Vorurteile bekämpfen, die häufig über Fake News und Verschwörungsmythen verbreitet werden. Im Netz nehmen diese Phänomene zu, lösen Besorgnis aus und werfen Fragen auf. «Verschwörungstheorien sind beunruhigend, weil sie als Triebwerk für rassistische Einstellungen und Diskurse dienen können. Die Gruppen, die dem Rassismus und der Rassendiskriminierung am stärksten ausgesetzt sind, gehören zu den ersten Opfern von Verschwörungstheorien und Fake News», so Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der EKR, im Editorial.
Eine multidisziplinäre Gruppe von Forscherinnen und Forschern aus der Schweiz, aus Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich hat an dieser Nummer mitgewirkt. Sie vereint die jüngsten Erkenntnisse aus den Bereichen Geschichte, Soziologie, Neurowissenschaft, Digitale Entwicklung und Politikwissenschaft. Zudem hat Tangram drei Zeichner aus drei Sprachregionen der Schweiz mit der Illustration dieser Ausgabe beauftragt: Max Spring, Herrmann und Corrado Mordasini steuern ihren Blick auf die Problematik mit spitzer Feder bei.
Verschwörungstheorien fallen nicht vom Himmel
Claus Oberhauser eröffnet das Dossier mit einer Entschlüsselung von rassistisch begründeten Verschwörungstheorien. So analysiert er etwa Verschwörungsnarrative wie den «Grossen Austausch» oder die «Protokolle der Weisen von Zion» und ihre Bedeutung heute. «Wirksame Verschwörungstheorien fallen nicht vom Himmel. Meistens haben sie einen langen Vorlauf, bevor sie im Mainstream wahrgenommen werden. Dies hängt von mehreren Entwicklungen ab: Gesamtgesellschaftliche Krisen spielen dabei die alles entscheidende Rolle», betont der Historiker. Und er folgert: «Verschwörungstheorien können schlussendlich Gewaltakte wie Anschläge oder gewaltsame Demonstrationen auslösen. Die Häufung der Fälle muss uns alle nachdenklich stimmen.»
Verschwörungsideologien werden vermehrt über das Internet und die sozialen Medien verbreitet. Digitalexpertin Katharina Nocun: «Die verschwörungsideologische Szene formt sozusagen einen eigenen Mikrokosmos mit Influencern, Videokanälen, Online-Shops, Festivals bis hin zu Urlaubsreisen. Interessant ist, dass die Akteure stark zusammenarbeiten und sich aufeinander beziehen. Damit schiebt man sich innerhalb der Szene gegenseitig Reichweite zu – eine Strategie, die auch im normalen Influencer-Milieu gang und gäbe ist.»
Fake News fallen im Internet auf fruchtbaren Boden
Verschwörungstheorien und Fake News sind im Internet auf fruchtbaren Boden gefallen und haben Wurzeln geschlagen. «Um gegen das Phänomen anzukämpfen, ist es wichtig, die Gründe zu verstehen, weshalb gewisse Menschen unreflektiert Thesen anhängen, die kritisch hinterfragt werden müssten», hält Martine Brunschwig Graf fest. Um das Übel an der Wurzel zu packen, muss die Medienkompetenz gefördert werden. Die EKR ist der Auffassung, dass eine umfassende Grundlagenarbeit geleistet werden muss, um Verschwörungsmythen und Fake News zu enthüllen und zu widerlegen.