Donnerstag, 19. September 2024
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Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Das gilt auch für die Rettungskette und die Erste Hilfe. Welches ist aber das schwächste Glied? Wie lässt es sich verstärken? Und kann Technologie dabei helfen?

Um Patienten nach einem Unfall oder in einem medizinischen Notfall bestmöglich versorgen und behandeln zu können, braucht es ab den ersten Sekunden eine ganze Kette von Hilfeleistungen und Hilfeleistenden. Die Profis des Rettungsdienstes sind durchschnittlich erst nach 15 Minuten vor Ort. Bis dahin besteht die Rettungskette ausschliesslich aus Ersthelfern.

Phasen der Ersten Hilfe

Ein medizinischer Notfall ist nicht immer leicht zu erkennen. Die erste Phase, das Identifizieren der Situation, kann bereits eine echte Herausforderung sein – beispielsweise rund um einen Schlaganfall. Auch wenn ein Patient wie ein gefällter Baum zu Boden sackt, ist nicht immer klar, was eigentlich sein Problem ist. Auf jeden Fall erschrecken die Menschen um ihn herum.

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«Allenfalls sind sie ängstlich, trauen sich nicht zu helfen, wissen nicht was zu tun ist oder haben Angst vor Konsequenzen, wenn sie etwas falsch machen», sagt Anita Meli, Kursleiterin des Samaritervereins Wetzikon-Seegräben. «Diese Ängste und Unsicherheit gilt es zu überwinden. Und zwar so schnell wie möglich. Je eher sich Ersthelfer entscheiden, aktiv zu werden und mindestens einen Alarm abzusetzen, desto schneller wird den Patienten und auch den Ersthelfern geholfen.»

Wo sind die grössten Herausforderungen in der Ersten Hilfe?

«Erkennen, einschätzen, alarmieren, Wissen abrufen und entsprechend handeln», fasst Daniel Bollier die Phasen der Ersten Hilfe zusammen. Er ist Operativer Leiter Notfalltrainings & Schulungen bei der Lifetec AG, einer Anbieterin von Erste Hilfe Schulungen und modernen Erste Hilfe Systemen. Er sieht die Hürden dabei vor allem in zwei Bereichen: «Oft scheitert es in der Einschätzung, was Sache ist. Oder es scheitert daran, das notwendige Wissen abrufen zu können. Die meisten Menschen haben seit dem Nothelferkurs für die Fahrprüfung nichts mehr in diesem Bereich gemacht und können dieses Wissen in einer Ausnahmesituation nicht mehr abrufen.»

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Sandra Mettler, Rettungssanitäterin im Rettungsdienst Winterthur, begegnet im Alltag allen möglichen Szenarien. «In der ganzen Rettungskette kann in jeder Situation etwas schiefgehen», sagt sie. «Aber in Akutsituationen haben viele Ersthelfer nur schon Mühe damit, die richtige Notrufnummer zu wählen oder zu wissen, wo genau sie sich örtlich befinden. Das löst bereits einen grossen Stress aus und dann wird es nicht einfacher, die Zeit optimal zu nutzen, bis der Rettungsdienst kommt. In jedem Ernstfall ist eine Struktur sehr wichtig. Es müsste deshalb eine regelmässigere Auseinandersetzung damit geben, nicht nur rund um die Fahrprüfung.»

Es gäbe Luft nach oben, sagt auch Roman Burkart, Präsident des Swiss Resuscitation Council und Geschäftsführer des Interverbands für Rettungswesen. «Optimierungspotenzial gibt es in allen Phasen der ersten 15 Minuten. Für das Interpretieren eines Notfalls ist es eine Voraussetzung, dass die Menschen geschult sind und ein Krankheitsbild erkennen können. Es gibt Optimierungspotenzial rund um das Absetzen eines Alarms, die Notrufnummer 144 ist noch nicht allen Menschen bekannt. Und drittens müssen Ersthelfer auch gewillt sein zu helfen und Erste Hilfe Massnahmen anzuwenden – ob sie das nun tun, weil sie geschult wurden oder weil sie von einem Disponenten der Notrufnummer 144 angeleitet werden.»

Der Faktor Schulungen

Für Roman Burkart sind Schulungen zentral. «Wenn Ersthelfer Hemmungen haben, dann weil das Know-how fehlt», sagt er. «Man muss sich sicher sein, was gerade geschieht, was man tun kann und was in der Situation tatsächlich hilft.»

Für ihn ist es deshalb zwingend, dass man die Erste-Hilfe-Massnahmen von Kindesalter an lernt: «Man muss schon in der Grundschule anfangen, im Kindergarten, in der Primarschule, dann in der Sekundarschule und dann wieder rund um die Autoprüfung. Dann bin ich sehr zuversichtlich, dass die Hemmfaktoren in Zukunft massiv reduziert werden. Es wäre genial, wenn jeder Schweizer und jede Schweizerin wüsste, was im Notfall zu tun ist. Doch dafür braucht es einen Kulturwandel und vor allem braucht es die Politik, die dafür die Grundlagen schafft.»

«Natürlich sind Schulungen wichtig», bestätigt Anita Meli. «Ohne Schulungen können Ersthelfer ihre Unsicherheiten und Ängste nicht ablegen und wissen nicht, was zu tun ist. Wir können ihnen diese Ängste nehmen, indem wir den Menschen zeigen, was sie machen können – und indem sie das praktisch üben. Das verschafft Sicherheit. Es ist schön, dass wir in den Nothilfekursen seit einiger Zeit auch die Reanimation schulen dürfen, das ist sehr wichtig. Und es ist überraschend, wie wenig Berührungsängste Kinder haben. Sie reanimieren gerne. Es wäre sicher nicht falsch, das bereits in der Schule zu üben.»

Wie kann Technologie die Ersthelfer unterstützen?

Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie Technologie dabei helfen kann, die Rettungskette zu verstärken. Das beginnt bei Apps auf dem Smartphone und geht über Sensoren, die Notfälle erkennen, bis hin zu Defibrillatoren (AED) und modernen Erste Hilfe Systemen. «Technologie kann den Menschen unterstützen», sagt Daniel Bollier. «Es gibt beispielsweise Apps zur Alarmierung. Ich erlebte es im Rettungsdienst häufig, dass die alarmierenden Menschen nicht wussten, wo sie sind. Da kann eine solche App helfen.»

«Auch die heutigen Defibrillatoren sind sehr weit – man muss sie nur noch einschalten und tun, was die Geräte sagen», sagt Bollier. «Sie geben Feedback, beispielsweise ob die Thoraxkompression in Ordnung ist. Wir bauen möglichst viel Technik auf möglichst sinnvolle Art und Weise in unsere modernen Erste Hilfe Systeme ein. Sie verbinden sich automatisch mit der Notrufzentrale 144, wenn ein Ersthelfer den Notfallkoffer öffnet. Das medizinische Fachpersonal der Notrufzentrale gibt Anweisungen, in welcher Form Erste Hilfe zu leisten ist, was den Ersthelfern Ängste und Hemmungen nimmt.»

Und: «Gleichzeitig erhält die Notrufzentrale wichtige Informationen über die aktuelle Verfassung des Patienten. Sie kann eine Standorthinterlegung abrufen, um die Rettungskräfte zielgerichtet zum Notfallort zu lotsen. Und über eine Fernwartung können wir sicherstellen, dass der integrierte Defibrillator jederzeit einsatzfähig ist. In solchen Fragen kann Technologie helfen.»

Roman Burkart sieht zudem eine grosse Chance in Sensoren, die den Körper unter Kontrolle haben und Symptome identifizieren und Alarme absetzen können, bevor ein Notfall überhaupt eintrifft. Und auch er verweist auf die Unterstützung von Apps und Defibrillatoren.

«AED waren bis vor wenigen Jahren nur Ärzten im Spital vorbehalten», sagt er. «Für den präklinischen Einsatz war das kein Thema. Heute kann und darf ihn jedermann benutzen. Technologie kann sehr gut unterstützend wirken – aber es braucht immer auch den Menschen. Er ist derjenige, der die Erste-Hilfe-Massnahmen umsetzt.»

Ohne den Menschen geht es nicht

«Der Faktor Mensch wird immer bleiben», sagt Sandra Mettler. «Auch eine App muss man erst auf dem Smartphone finden und anwenden können. Das kann viel Stress bedeuten und das muss ein Mensch verinnerlicht haben, damit es funktioniert.»

Für sie ist vor allem wichtig, dass Ersthelfer Initiative ergreifen, ganz egal welche technologischen Hilfsmittel sie zur Verfügung haben. «Nur nichts machen ist falsch», sagt sie. «Man soll und darf sich trauen. Viel kaputtmachen kann man nicht. Aber wenn man auf den Rettungsdienst wartet, kann viel kaputtgehen. Die Situation ist schon eingetroffen. Das kann man nicht mehr verändern. Also muss man aus der Situation das Beste herausholen.»

«Der Mensch muss handeln und Initiative ergreifen», sagt Daniel Bollier. «Systeme können nicht selbständig Situationen einschätzen. Deshalb muss man die Menschen sensibilisieren und diese Situationen regelmässig üben und trainieren, auch in den Unternehmen. Denn ob im privaten oder beruflichen Umfeld – Erste Hilfe Wissen kann man immer brauchen. Man sollte es nicht für den Chef oder für den Führerausweis machen, sondern um bereit zu sein, wenn man es braucht. Eine regelmässige Weiterbildung in Erster Hilfe ist gut investierte Zeit!»

In Zusammenarbeit mit Lifetec AG.

 

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Chefredaktor safety-security.ch / CEO bentomedia GmbH / Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Betriebssanität SVBS / SFJ-Award für Qualitäts-Fachjournalismus

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